Neurologie

KI unterstützt Ärzte bei der Analyse von Bildern des Gehirns

Eine Software hilft Radiologen, klinische Bilder des Gehirns anzuzeigen, zu analysieren und zu evaluieren.

4min
Panagis Galiatsatos
Veröffentlicht am June 22, 2021

Auch in Griechenland gibt es immer mehr neurodegenerative Erkrankungen, überwiegend Alzheimer – vor allem wegen der älter werdenden Bevölkerung.[1] Obwohl die Zuständigkeit für die Diagnose bei der Neurologin oder dem Neurologen liegt, spielt die Radiologie eine immer bedeutendere Rolle. Zu Besuch beim Radiologen Dr. Dr. Andreas Papadopoulos, wissenschaftlicher Koordinator bei Iatropolis Medical Group, der in seiner Arbeit die Vorteile der künstlichen Intelligenz zu schätzen gelernt hat.

Die Zentrale des in Griechenland in der Diagnostik führenden Medizinkonzerns Iatropolis befindet sich in Halandri, einem Vorort im Norden von Athen. In der Nachbarschaft herrscht wegen der COVID-19-Regeln nur wenig Betrieb. Doch vor dem Iatropolis-Gebäude findet sich eine Ansammlung von Menschen, die auf ihre Untersuchung warten. Die meisten sind älter; sie warten mit oder ohne Begleitung.

Wie in vielen Industrienationen wird auch in Griechenland die Bevölkerung zunehmend älter. Daher rechnet das griechische Gesundheitsministerium mit einer deutlichen Zunahme von neurodegenerativen Erkrankungen. Dabei ist die Alzheimer-Krankheit am meisten verbreitet; sie macht 70 Prozent der neurodegenerativen Krankheitsfälle aus. Laut Schätzungen der Alzheimer-Gesellschaft Griechenlands leiden bereits heute 197.000 Menschen an der Krankheit. Es wird damit gerechnet, dass diese Zahl bis zum Jahr 2050 auf 354.000 ansteigen wird.[2]

„Die Wahrscheinlichkeit an Alzheimer zu erkranken, mag mit 65 Jahren bei nur ein bis zwei Prozent liegen. Doch sie verdoppelt sich dann alle fünf Jahre. Weil die vorhandenen Medikamente die Entwicklung der Degeneration nicht rückgängig machen, nur verlangsamen können, ist es entscheidend, bereits in den Vorstadien – beim Auftreten der ersten leichten kognitiven Störungen – die richtige Diagnose zu stellen und die Alzheimer-Patientinnen und -Patienten herauszufiltern“, erklärt Dr. Papadopoulos.

Innovation und Spitzentechnologie in der medizinischen Diagnostik sind ein Markenzeichen von Iatropolis, das bereits 1986 den ersten Magnetresonanztomographen (MRT) in Griechenland im Betrieb nahm.

Seither ist Iatropolis ungeheuer gewachsen und verfügt mittlerweile über sieben Gesundheitszentren im Großraum Athen.

Iatropolis Halandri, Athens, Greece

Ihrem Ethos ist die Firma aber treu geblieben und stattet weiterhin ihre Praxen mit dem neuesten Stand der Technik aus. Seit Ende Oktober 2020 zählt zum Inventar der Gruppenlabors auch AI-Rad Companion Brain MR1. Diese auf künstlicher Intelligenz (KI) basierende Software könnte in der frühzeitigen Diagnostik neurodegenerativer Erkrankungen eine wichtige Rolle spielen.

In Sachen technische Innovation ist Papadopoulos ein Mann der ersten Stunde. Im Jahre 1988, als er seine Ausbildung zum Röntgen-Facharzt im Krankenhaus Aretaieion begann, wurde dort der erste MRT des griechischen öffentlichen Gesundheitssystems installiert. In den folgenden Jahren erlebte er aus erster Hand die technologische Revolution, die sein Fachgebiet von Grund auf veränderte. Papadopoulos hat fast alle Innovationen in seinem Gebiet genutzt und in der Praxis getestet; er hat mehr als 200.000 Diagnosen auf der Grundlage von MRT- und Computertomographie-Scans erstellt. „In allen diesen Jahren habe ich Erfahrung gesammelt und die Angst gegenüber dem Computer und allen neuen Werkzeugen überwunden“, sagt er.

Bei Iatropolis werden jährlich 12.000 MRI-Untersuchungen des Gehirns durchgeführt.

MRI scan of the brain

Iatropolis arbeitet mit dem öffentlichen Gesundheitssystem in Griechenland zusammen. Viele ihrer Diagnostik-Dienste werden von öffentlichen Krankenkassen akzeptiert und bezahlt. Nicht aber MRT-Scans, die auf neurodegenerative Erkrankungen zielen – die muss die Patientin oder der Patient aus der eigenen Tasche bezahlen oder aber privat versichert sein.

Seit nun drei Monaten nutzt dabei Dr. Papadopoulos für diese Untersuchungen AI-Rad Companion Brain MR. „Es handelt sich hier um eine Software für Hirnvolumetrie“, erklärt er. „Das heißt, sie bietet eine automatische volumetrische Quantifizierung, die die Volumina in den verschiedenen Hirnsegmenten berechnet. Sie ist in der Lage, diese voneinander zu trennen: Sie isoliert die Hippocampi und die Hirnlappen, und berechnet für jedes Segment einzeln das Volumen der weißen und der grauen Masse.“

Würde er nicht selbst diese Berechnungen vornehmen können? „Auf keinen Fall“, meint Papadopoulos. Es handele sich dabei um ungeheuer viel Arbeit und vor allem um einen Präzisionsgrad, den der Mensch nicht erreichen könne. Darüber hinaus aber kann er dank der Software die Ergebnisse mit normativen Daten gesunder Menschen vergleichen.


Andreas Papadopoulos

„Dieser ist besonders hilfreich, wenn sich der Radiologe fragt, ob das, was er als Volumenveränderung erkennt, wirklich eine Volumenveränderung ist und nicht vielleicht eine normale Alterserscheinung.“

Diese Möglichkeiten der KI hat Papadopoulos im Kopf, wenn er von der Früherkennung neurodegenerativer Erkrankungen spricht. „In den Anfangsstadien sind die Volumenveränderungen gering. Beim Hippocampus beispielsweise haben wir eine Volumenverringerung von 10 bis 15 Prozent, das kann das Auge sehr schwierig erkennen. Die objektiven Berechnungen aber, die das System liefert, könnten dabei eine große Hilfe werden.“

Als Radiologe kommt Dr. Papadopoulos normalerweise nicht in Kontakt mit Patient*innen. Er führt seine Untersuchung im Labor und am Bildschirm durch. Er stünde aber jedem Patienten zur Verfügung, der ihn, den Radiologen, sehen will. Ob er dabei den Patient*innen sage, dass sie an einer neurodegenerativen Erkrankung leiden, frage ich? Papadopoulos verneint: „Ich sage einer Patientin oder einem Patienten nicht, dass sie oder er beispielsweise Alzheimer hat, weil dies keine radiologische Diagnose ist. Das ist die Aufgabe des Neurologen oder der Neurologin. Ich erwähne auch in meinem Bericht das Wort Alzheimer nicht. Ich beschreibe die Volumenveränderungen, und der Neurologe oder die Neurologin interpretiert den Befund zusammen mit den Ergebnissen der neuropsychologischen Tests.“

Die KI möchte den Arzt oder die Ärztin von einer Menge Arbeit entlasten und, bei der richtigen Einbettung im Arbeitsablauf, Zeit sparen. Dies ist allerdings bei Dr. Papadopoulos nicht der Fall – zumindest noch nicht. Jetzt in der Anfangsphase bedeute die Software eher mehr Arbeit für ihn: „Ich sortiere derzeit zwei bis drei Fälle täglich aus und evaluiere sie mit AI-Rad Companion Brain MR.“ Meistens sind es völlig normale Fälle oder Fälle, die im Grenzbereich liegen, wo man nicht absolut sicher sagen kann, ob es sich um eine Volumenveränderung handelt. „Bei ersteren möchte ich die Ergebnisse der KI validieren. In vielen Fällen der zweiten Gruppe nutze ich die Ergebnisse der Software und baue sie in meine Diagnose ein.“ Später, wenn sein Arbeitsablauf neu eingespielt ist, wird er feststellen, ob er dadurch auch Zeit einsparen wird.

Schon jetzt erkennt Papadopoulos seinen größten Vorteil jedoch darin, „dass die Software einen objektiven Rahmen liefert, auf den ich meine subjektive Einschätzung bei einer Untersuchung stützen kann.“

A big benefit is the software providing an objective framework on which one can base a subjective assessment during an examination.

Ein weiteres, vielversprechendes Anwendungsfeld der KI ist die Forschung an Medikamenten und neuen Behandlungsmethoden gegen neurodegenerative Erkrankungen. „Auch hier sind die Veränderungen in den Hirnvolumina während der Behandlung allmählich und milde, das menschliche Auge kann sie nicht wahrnehmen. Die KI aber ist in der Lage zu zeigen, ob der Zustand des Patienten sich weiter verschlechtert oder ob mit neuen Medikamenten die Degeneration aufgehalten wird. Dadurch werden objektive Parameter zur Evaluation der Therapie eingeführt“, so Dr. Papadopoulos.


Von Panagis Galiatsatos

Panagis Galiatsatos lebt und arbeitet als Zeitungs- und Radiojournalist in Athen, Griechenland. Zu seinen Spezialgebieten zählt unter anderem die Gesundheitsökonomie.