Frauengesundheit

Brustkrebs: Sich stärker und klüger einsetzen

Zum Glück wurde Lisa B. Jones´ vererbbare Brustkrebserkrankung früh erkannt. Heute hilft sie in New York benachteiligten Frauen in ähnlicher Lage.

6min
Leane Clifton
Veröffentlicht am 18. Oktober 2021

Drei Frauen, drei Länder, drei individuelle Brustkrebsgeschichten. Im letzten Teil dieser dreiteiligen Serie trifft Lisa B. Jones, gebürtige New Yorkerin und Brustkrebsüberlebende, unsere Journalistin und Fotografin in Harlem, um über ihre Arbeit als Fürsprecherin und SHARE1-Botschafterin zu sprechen, mit der sie Frauen bei der Diagnose und Behandlung von Brustkrebs unterstützt.  

Ich muss zugeben, eine Klinik war der letzte Ort, den ich erwartet hätte, wenn ich mich mit einer Brustkrebsüberlebenden an einem ihrer Lieblingsorte verabrede. Aber hier sind wir: in einem kleinen Untersuchungsraum bei Ryan Health in Harlem, einem privaten, gemeinnützigen, staatlich finanzierten Gesundheitszentrum, bei dem Lisa ehrenamtlich als Patientenfürsprecherin und Sozialpädagogin tätig ist.
„Das ist einer meiner Glücksorte – wegen der Arbeit, die ich hier mache, und der Offenheit für die Zusammenarbeit mit der Community, die Ryan Health mir undSHARE1entgegenbringt“, sagt Lisa.
Lisa B. Jones steht vor dem Eingang des Ryan Health in Harlem, New York City, einem ihrer Lieblingsorte.
Obwohl die Brustkrebsrate in der Region hoch ist, wurden in ganz New York mindestens 16 große Krankenhäuser geschlossen. So entstanden in vielen Gegenden Lücken in der medizinischen Versorgung, da Tausende von stationären Betten abgebaut und ehemalige Kliniken in luxuriöse Eigentumswohnungen umgewandelt wurden. Unter früheren Stadtverwaltungen sind die Immobilienwerte in die Höhe geschnellt; es wurde finanziell attraktiver, Gebäude zu verkaufen, als marode oder in die Jahre gekommene Krankenhäuser in der Nachbarschaft weiter zu finanzieren. Als Reaktion auf diesen Umbruch in der Gesundheitsversorgung in den letzten Jahrzehnten haben sich ambulante Notfalldienste und Organisationen wie Ryan Health der Bereitstellung qualitativ hochwertiger, erschwinglicher, umfassender und interkulturell kompetenter Gesundheitsdienste für medizinisch unterversorgte Bevölkerungsgruppen verschrieben – und damit ein Sicherheitsnetz geschaffen.

Der geschäftsführende Direktor Charles Shorter ist Lisas Verbündeter bei der Patientenvertretung.

Das Bild zeigt Lisa B. Jones´ Partner Charles Shorter.
„Wenn man sich die Daten ansieht, wird deutlich, dass Women of Color, farbige Frauen, nicht die notwendigen Brustkrebsbehandlungen erhalten“, sagt Shorter. „Deshalb arbeiten wir mit einer Organisation zusammen, die mit ihrem mobilen Wagen kostenlose Brustkrebs-Vorsorgeuntersuchungen anbietet.“
Lisa ist in ihrer Rolle als SHARE1-Botschafterin vor Ort, um den Frauen, die sich testen lassen, Unterstützung und Informationen zu bieten.
Lisa B. Jones begann ihre Karriere als Köchin. „Ich habe damals mit vielen Ernährungswissenschaftler*innen zusammengearbeitet, weil ich wissen wollte, wie ich wohlschmeckendes und trotzdem gesundes Essen zubereite.“

‚Gesunde‘ Kochkunst war in den 1990er Jahren ein neuer und sehr beliebter Trend. Jones wurde vom Harlem Hospital als Beraterin engagiert, um Rezepte für ihre Initiative „Healthy Heart“ („Gesundes Herz“) zu entwickeln. Sie sagt: „Es ging mir auch darum, Essen, Gesundheit und Gemeinschaft miteinander zu verquicken.“

Außerdem wurde sie von der Gewerkschaft Local 1199 für groß angelegte Kochvorführungen engagiert, um zu zeigen, wie man einen gesünderen Eiersalat, Thunfischsalat oder Hühnersalat zubereitet. Sie führte Produktdemonstrationen durch und wurde als „Smoothie-Köchin“ bekannt. Der Bürgermeister von New York City, David Dinkins, stellte sie als seine persönliche Köchin in seiner offiziellen Residenz, Gracie Mansion, ein. Als Ergebnis ihrer Beratungstätigkeit wechselte sie in die Öffentlichkeitsarbeit für das Gesundheitsunternehmen Health First und andere kommunale Gesundheitsorganisationen.

Dann wurde sie krank.
Bei ihrer Mutter wurde Brustkrebs diagnostiziert, als Lisa B. Jones sieben Jahre alt war. Sie sagt, ihre Mutter sei eine ausgezeichnete Köchin gewesen, und als sie krank wurde, „zeigte sich das in dem Essen, das sie gekocht hat, denn sie konnte zwar eine Mahlzeit für uns zubereiten, aber sie war nicht mehr in der Lage zu essen.“ Drei oder vier Jahre lang, bis zum Tod ihrer Mutter, war der Krebs „der rote Faden in meinem Leben, er hat alles bestimmt“. Nach Angaben der American Cancer Society ist eine vererbte Mutation im BRCA1- oder BRCA2-Gen die häufigste Ursache für erblichen Brustkrebs. Im Durchschnitt hat eine Frau mit einer BRCA1- oder BRCA2-Genmutation eine Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent, bis zum Alter von 80 Jahren an Brustkrebs zu erkranken.

Da ihre Mutter an Krebs starb, setzte sich Lisas Arzt bei ihrer Versicherung dafür ein, dass sie einen Gentest machen lassen konnte, und im Alter von 36 Jahren wurde festgestellt, dass sie das BRCA2-Gen besitzt. Sie wurde ‚unter Beobachtung‘ gestellt – regelmäßige Mammographie-, MRT- und Ultraschalluntersuchungen. Sie sagt: „Da ich wusste, dass das Gen ein Teil meiner DNA ist, stand eine mögliche Diagnose immer im Raum.“
Ein Gen auf dem Chromosom 13, das normalerweise dazu beiträgt, das Zellwachstum zu unterdrücken. Personen, die bestimmte Mutationen in einem BRCA2-Gen erben, haben ein erhöhtes Risiko, an Brust-, Eierstock-, Prostata- und anderen Krebsarten zu erkranken.
Lisa war 51 Jahre alt, als bei ihr DCIS-MI-Brustkrebs im ersten Stadium diagnostiziert wurde.
Duktales Karzinom in situ mit Mikroinvasion (DCIS-MI) bedeutet, dass einige der Krebszellen begonnen haben, die Wand des Ductus zu durchbrechen. DCIS-MI ist Brustkrebs im Stadium I.
Zur gleichen Zeit wurde bei ihr auch systemischer Lupus erythematodes (SLE) diagnostiziert, was die Behandlungsmöglichkeiten erschwerte. Lisa unterzog sich einer teilweisen Mastektomie, einer Lumpektomie und einer beidseitigen Verkleinerung. Der Krebs hatte sich nicht auf ihre Lymphknoten ausgebreitet, und da ihre SLE-Erkrankung nicht unter Kontrolle war und durch die Chemotherapie hätte erschwert werden können, entschied man sich gegen eine weitere Bestrahlung. „Es gibt auch so etwas wie eine Überbehandlung. Auch wenn ich das Gen habe, ist es nicht notwendig, gleich alle schweren Geschütze aufzufahren“, meint Lisa. Sie bleibt unter ‚strenger Beobachtung‘ und lässt sich regelmäßig untersuchen und scannen. Lisa ist seit fünf Jahren krebsfrei.
Mastektomie – Die Mastektomie ist die Entfernung der gesamten Brust. Es gibt fünf verschiedene Arten der Mastektomie: die einfache oder totale Mastektomie, die modifizierte radikale Mastektomie, die radikale Mastektomie, die partielle Mastektomie und die subkutane Mastektomie (brustwarzenschonend). Die radikale Mastektomie ist die umfassendste Form.

Lumpektomie – Ein chirurgischer Eingriff, bei dem ein Knoten aus der Brust entfernt wird, in der Regel wenn Krebs vorhanden ist, aber nicht gestreut hat.
Was die regelmäßige Vorsorgeuntersuchung für Brustkrebs betrifft, so ist Lisa B. Jones unter den afroamerikanischen Frauen in den USA eher die Ausnahme als die Regel. Jones erklärt: „Bei weißen Frauen wird häufiger Brustkrebs diagnostiziert, doch mehr schwarze Frauen sterben daran.“ Der wichtigste Faktor scheint der Versicherungsschutz zu sein, denn nur 39 Prozent der nicht versicherten Frauen lassen sich regelmäßig untersuchen. In einer kürzlich von der Susan G. Komen Foundation veröffentlichten Studie heißt es, dass 74 Prozent der afroamerikanischen Frauen mit Krankenversicherung zu den Vorsorgeuntersuchungen gehen, etwas mehr als die 73 Prozent der weißen Frauen mit Versicherung.

Auch wenn der wirtschaftliche Aspekt eine Rolle spielt, glaubt Lisa, dass mehr dahinter steckt: „Weiße Frauen gehen zum Arzt oder zur Ärztin, sobald sie bemerken, dass etwas nicht stimmt. Schwarze Frauen tun das nicht, weil sie sich immer um etwas oder jemanden anderes kümmern müssen.“ Das führt dazu, dass bei afroamerikanischen Frauen die Diagnose oft erst in einem späteren Stadium gestellt wird. „Wenn schwarze Frauen zum Arzt oder zur Ärztin gehen, fühlen wir uns manchmal einfach nicht gehört oder gesehen“, fährt Lisa fort, „ich denke, es gibt gewisse Vorurteile in der Medizin, die korrigiert werden müssen. Über 50 Prozent der Medizinstudent*innen sind immer noch der Meinung, es gäbe einen Unterschied zwischen schwarzen und weißen Patient*innen, was die Schmerzen angeht. Wenn man das hört, muss man sich noch stärker einsetzen, aber man muss sich auch klüger einsetzen.“

Lisa arbeitet auch mit der National Breast Cancer Coalition2 zusammen und setzt sich für die Verabschiedung von H.R. 2178 Metastatic Breast Cancer Access to Care Act, einem Gesetz über den Zugang zur Gesundheitsversorgung bei metastasierendem Brustkrebs, ein. Dieses Gesetz soll Frauen mit Brustkrebs eine Befreiung von den Wartezeiten für den Invaliditätsversicherungs- und Medicare-Anspruch gewähren. Jones sieht darin ein Versagen des Gesundheitssystems, wenn „die durchschnittliche Lebenserwartung bei einer Diagnose von metastasierendem Brustkrebs mehr oder weniger 36 Monate beträgt und die durchschnittlichen Wartezeiten für Invaliditätsversicherung und Medicare sechs Monate bzw. zwei Jahre betragen.“
Ein Gesetzesentwurf, der zur Abstimmung im US-Repräsentantenhaus ansteht und Titel II des Sozialversicherungsgesetzes dahingehend ändern würde, dass die Wartezeiten für Leistungen der Invaliditätsversicherung und Medicare für Personen mit metastasierendem Brustkrebs aufgehoben werden, sowie für andere Zwecke.
Das Bild zeigt eine Grafik aus der hervorgeht, dass vor der COVID-19 Pandemie 2019 37 Prozent der Brustkrebsdiagnosen mit symptomatischer Erkrankung einherging. Bei 64 Prozent der diagnostizierten Brustkrebsfälle wurden Tumorgrößen der Klassifizierung T1c oder größer festgestellt. Im selben Zeitraum 2020 gingen 78 Prozent der Brustkrebsdiagnosen mit symptomatischer Erkrankung einher und bei 78 Prozent der diagnostizierten Brustkrebsfälle wurden Tumorgrößen der Klassifizierung T1c oder größer festgestellt.

SHARE1 Cancer Support ist eine nationale gemeinnützige Organisation, die von Brustkrebsüberlebenden gegründet wurde und geleitet wird. Sie unterstützt, informiert und stärkt Frauen, die von der Krankheit betroffen sind, und konzentriert sich dabei besonders auf medizinisch unterversorgte Bevölkerungsgruppen. Es gibt Programme für afroamerikanische und lateinamerikanische Frauen und sogar eines für japanischstämmige Amerikanerinnen, weil eine Krebsüberlebende den Bedarf erkannte und zur Botschafterin wurde.

Obwohl Lisa von SHARE1 schon Jahre zuvor für deren erste gesunde Kochvorführung engagiert worden war, engagierte sie sich erst nach ihrer Diagnose für die Organisation. An diesem Tag lud die Co-Direktorin von LatinaSHARE, Jennie Santiago, sie in ihr Büro im selben Krankenhaus ein, wo sie Lisa bei ihrer Erkrankung begleitete, und ermutigte sie, Teil der SHARE1-Gemeinschaft zu werden, sobald sich ihr Gesundheitszustand stabilisiert habe. Monate später sprach Lisa auf verschiedenen Veranstaltungen und nahm an Selbsthilfegruppen für afroamerikanische Frauen teil, wo sie Unterstützung und Trost gefunden hatte.

Lisa sagt, dass sich ihre Prioritäten und ihre Überzeugung nach ihrer Diagnose stark verändert haben, was ihr „eine neue Perspektive für die Arbeit mit anderen Frauen mit Brustkrebs“ eröffnete. Es war eine natürliche Ergänzung ihrer bisherigen Tätigkeit, SHARE1-Botschafterin zu werden, sich für andere Frauen einzusetzen und ihnen beizubringen, wie sie für sich selbst einstehen können. In den drei Jahren, in denen sie für die Organisation tätig ist, hat sie mit durchschnittlich 200 Frauen pro Jahr Einzelgespräche geführt.

Lisa ist überzeugt: Das Wichtigste, was Frauen für sich tun können, besteht darin, sich um ihre eigene Gesundheit zu kümmern. Frühe Untersuchungen, frühe Erkennung und frühe Behandlung.
Lisa B. Jones sitzt in einem Büro und berichtet von der Zeit ihrer Brustkrebserkrankung.

Buchstäblich Hunderttausende von Frauen haben von der SHARE1-Krebsorganisation Hilfe erhalten, seit das erste Dutzend Mitglieder 1976 begann, sich für sie einzusetzen. Shorter betont die Notwendigkeit von Organisationen wie SHARE1, „damit unsere Frauen ein ganzheitliches Bild erhalten, nicht nur die medizinische Versorgung.“ Er ist der Meinung, dass die Organisation und insbesondere Lisa wichtige Partner bei den Bemühungen von Ryan Health sind, auf die Community zuzugehen. Ich stimme zu, dass Harlem sich glücklich schätzen kann, das Engagement von Lisa und Shorter zu haben, die sich gemeinsam für die Versorgung des Viertels einsetzen. „Wenn man es mit krebskranken Frauen zu tun hat, heißt es einfach: Alle Mann an Deck! Wir brauchen jede mögliche Unterstützung“, sagt Lisa. „Ich bin sehr dankbar für die Art von Arbeitsverhältnis, die ich mit Organisationen wie Ryan Health habe. Meine Partnerschaft mit Mr. Shorter gibt mir die Freiheit, meiner Community auf spürbare und sinnvolle Weise zu helfen.“


Von Leane Clifton
Leane Clifton lebt und arbeitet als TV-Produzentin, Journalistin und Dokumentarfilmerin mit den Schwerpunkten Gesellschaft, Gesundheit und Technologie in New York.