Frauengesundheit

Brustkrebs: „Heute bin ich ein stärkerer Mensch“

Simran Sethi aus Indien erzählt von ihren Erfahrungen nach ihrer Brustkrebsdiagnose und wie ihr Selbstverwirklichung und ihre Familie geholfen haben.

4min
Swati Prasad
Veröffentlicht am October 11, 2021

Drei Frauen, drei Länder, drei individuelle Brustkrebsgeschichten. Im zweiten Teil dieser dreiteiligen Serie erzählt Simran Sethi von ihrem Weg der Selbstverwirklichung, nachdem bei ihr mitten in der Pandemie Krebs diagnostiziert wurde. Simran (49) liebt es, einzukaufen, und so verabredete sie sich an einem heißen und schwülen Nachmittag mit unserer Journalistin und unserer Fotografin auf dem Dilli-Haat-Markt in Pitampura, Nord-Delhi.

Als Simran uns am Eingang sieht, strahlt ihr Gesicht. „Ich bin zum ersten Mal seit sehr langer Zeit wieder hier“, sagt sie.

Aber der Dilli-Haat-Markt ist nicht mehr ganz derselbe – nur ein paar Stände mit Snacks und kalten Getränken sind geöffnet. Einige junge Leute hängen hier herum, machen Selfies und drehen Tanzvideos für ihre Social-Media-Kanäle. Sie interessieren sich nicht für das Kunsthandwerk, um das es auf diesem dörflich anmutenden, offenen Markt einmal ging. Kein Wunder, dass die Kunsthandwerker nicht zurückgekehrt sind. Es ist nicht mehr wie früher.
Letzten Sommer, als Indien den strengsten Lockdown der Welt schrittweise aufhob, bemerkte Simran beim Duschen einen Knoten in ihrer rechten Brust. Für die Hausfrau aus der Mittelschicht änderte sich in diesem Moment alles.
Simran Sethi steht an einer Mauer und lächelt. Im All India Institute of Medical Science (AIIMS) fühlte sie sich gut betreut.
In Indien gehen die meisten Frauen erst dann zur Brustuntersuchung, wenn sie einen Knoten bemerken, so auch Simran. Als sie ihren Gynäkologen konsultierte, riet man ihr zu einer Ultraschalluntersuchung. Dabei wurde nichts Alarmierendes festgestellt. Einige Tage später wurde die Geschwulst größer und verursachte Unbehagen. Sie ging erneut zum Gynäkologen.

Diesmal riet der Arzt Simran, weitere Untersuchungen durchführen zu lassen, und zwar in einem guten radiologischen Labor. Mit den Unterlagen ging Simran dann in ein privates Krankenhaus im Süden Delhis. Doch ihre Freunde bestanden darauf, dass sie das staatliche All India Institute of Medical Sciences (AIIMS) in Süd-Delhi aufsuchen sollte, das über eines der größten spezialisierten Krebszentren des Landes verfügt.

Dr. Ajay Gogia, außerordentlicher Professor in der Abteilung für medizinische Onkologie am Dr B.R.A Institute-Rotary Cancer Hospital am AIIMS, schlug eine weitere Biopsie vor, die im Institut durchgeführt wurde. Der Biopsiebericht zeigte ein invasives Karzinom in ihrer Brust.

In Indien gibt es 15 solcher AIIMS, die medizinische Ausbildung und kostenlose Behandlung anbieten.

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Bei Simran handelte es sich um einen typischen Fall von HER2-positivem, schnell wachsendem Brustkrebs. Während all dieser Besuche bei ihrem Gynäkologen und in verschiedenen radiologischen Labors hatte sich ihr Brustkrebs auf die Lymphknoten ausgebreitet. Als er im November 2020 diagnostiziert wurde, befand sich ihr Brustkrebs im Stadium III, was ihr eine 50-prozentige Überlebenschance gab. „Die Überlebenschancen von Patientinnen, bei denen Brustkrebs im Stadium I und II festgestellt wird, sind wesentlich höher – sie liegen bei 95 bzw. 85 Prozent“, sagt Gogia. Die Überlebenschancen von Patientinnen mit Brustkrebs im Stadium IV sinken auf 20 Prozent.

Heute ist Brustkrebs die häufigste Krebsart in Indien. „Vor fünfzehn Jahren, als ich in den Beruf einstieg, war es Gebärmutterhalskrebs“, sagt Gogia.
HER2-positiver Brustkrebs ist ein Krebs, der positiv auf das Protein humaner epidermaler Wachstumsfaktor-Rezeptor Typ 2 (HER2) getestet wird. HER2-Proteine fördern das Wachstum von Krebszellen. Obwohl diese Krebsarten sehr aggressiv sind, sind Behandlungen, die auf HER2 abzielen, sehr wirksam.

Die meisten Krankenversicherungspolicen in den Industrieländern verordnen regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen, zum Beispiel eine Mammographie. Nicht so in Indien. „Anders als im Westen, wo 70 Prozent der Brustkrebsfälle im ersten Stadium entdeckt werden, ist es in Indien genau umgekehrt: Mehr als 63 Prozent der Patientinnen, die ins AIIMS kommen, haben metastasierten Brustkrebs im Stadium III oder IV“, sagt Gogia.

Laut einer vom AIIMS zwischen Januar 2014 und Dezember 2019 durchgeführten Studie wurden von 997 Patientinnen nur 40 (oder 4,01 Prozent) mit Brustkrebs im Stadium I, hingegen 326 (32,7 Prozent) mit Stadium II, 419 (42,02 Prozent) mit Stadium III und 212 (21,26 Prozent) mit Stadium IV diagnostiziert.

Bei der Metastasierung lösen sich die Krebszellen vom ursprünglichen Krebs und bilden neue Tumore.
Die Diagnose erschütterte Simran und ihren Mann Rajesh (51). Sie leben in einer Großfamilie mit Rajeshs Eltern. Simran ist die Mutter der 20-jährigen Archa und des 15-jährigen Parth und die Stütze ihrer Familie. „Es war schwer zu glauben, dass mir das passieren könnte“, sagt Simran.

In Indien betreuen Fachärzt*innen wie Gogia in einer Woche Hunderte von Patient*innen, was es ihnen erschwert, jede und jeden einzeln zu beraten. Er informierte Simran und Rajesh über den langwierigen Behandlungsplan, eine Mischung aus Mastektomie[2], Chemotherapie und Medikamenten.

Zunächst sollte sie sich sechs Runden Chemotherapie unterziehen. Die Operation – eine Mastektomie – würde im Februar 2021 durchgeführt werden. Danach sollten weitere Runden Chemotherapie und Medikamente folgen.
Je nach Art des Krebses wird ein Therapieplan erstellt, der sich auf verschiedene Behandlungsarten stützt, die von einem multidisziplinären Team von Spezialist*innen durchgeführt werden.

Den Behandlungsplan und die Krankheit zu verstehen ist eine Sache, mit den Gefühlen umzugehen eine ganz andere.

Simran Sethi steht nachdenklich im Dilli ‚Haat Markt: im ersten Moment nach der Brustkrebsdiagnose glaubte sie, ihr Leben wäre vorüber.
„Die Diagnose war niederschmetternd. Mein Mann und ich wachten nachts auf und weinten. Es schien, als ob mein Leben vorbei wäre“, sagt sie. Simran schöpfte Trost aus Gogias Worten. „Er sagte, in ein paar Jahren werden Sie sich nicht einmal mehr an diese Phase erinnern. Sie können entscheiden, ob Sie sich dem mutig stellen oder darüber verzweifeln wollen“, erinnert sich Simran. Sie ließ sich auch von einer Nachbarin inspirieren, bei der vor fünf Jahren Brustkrebs diagnostiziert worden war. „Wenn sie die Kraft hatte, das durchzustehen, kann ich das auch.“

Eine Chemotherapie verursacht in der Regel eine Menge von Beschwerden. In den ersten zehn Tagen litt Simran unter Übelkeit, Erbrechen und ihr fielen die Haare aus. „Das waren schwierige Tage“, sagt sie.

Simran ist in Delhi aufgewachsen und ist glücklich, dass sie in dieser Krisenzeit auf die bedingungslose Unterstützung ihrer Familie zählen konnte. Ihre größte Stütze war ihr Ehemann, der ein Elektronikgeschäft im Bhagirath Palace in Delhi betreibt. Für sie hörte er auf, in den Laden zu gehen.

„Rajesh sagte: Ich werde später Geld verdienen. Zuerst muss ich Dich pflegen“, erinnert sich Simran. Auch ihr Sohn war ein beruhigender Einfluss. „Er kümmerte sich auch um meine Ernährung“, sagt sie. Ihre Tochter studiert in Großbritannien und konnte sie wegen der Pandemie nicht besuchen. Aber sie war immer nur einen Videoanruf entfernt.

Auch ihre Eltern und Geschwister waren eine große Unterstützung, ebenso wie die Familie ihres Mannes. Ihre Schwägerin in Großbritannien ist praktizierend Buddhistin und brachte ihr das Chanten, den buddhistischen Sprechgesang, bei.

Einsatz von starken Medikamenten zur Zerstörung von Krebszellen.

Simrans Krankheit lehrte sie, sich zunächst auf sich selbst zu konzentrieren, bevor sie sich um ihre Lieben kümmerte.

Simran Sethi sitzt auf einer Mauer und lächelt zuversichtlich, denn sie hat gelernt wie wichtig es ist, sich zuerst um sich zu kümmern, dann um Andere.
Heute ist sie ihrer liebevollen Familie dankbar, die sie ermutigt hat, Yoga zu praktizieren, sich gut zu ernähren und auf sich selbst aufzupassen. Als Punjabi gehörten Parathas (frittierte Fladenbrote) zu ihrer täglichen Ernährung. Die Parathas sind inzwischen Quinoa, Salaten, Früchten und fettarmer Milch gewichen.

Sie praktiziert jeden Tag Yoga unter Anleitung eines Lehrers. Beten und positive Gespräche gehören nun zu ihrem Tagesablauf. „Nach dieser Erfahrung bin ich sicherlich ein stärkerer Mensch geworden“, sagt Simran.

Welche Träume hat sie nun für sich selbst? „Alle meine Träume sind für meine Kinder. Ich möchte, dass sie ein gutes Leben haben“, sagt sie. Im Moment ist Simran damit beschäftigt, einen Urlaub mit ihrer Familie zu planen. Und wie wir wissen, bedeutet die Familie ihr alles.

Von Swati Prasad

Swati Prasad lebt als freie Journalistin in Delhi und schreibt über Unternehmen, Ökonomie, Technologie und Gesundheitswesen. Sie berichtet aus Indien für verschiedene Publikationen in Übersee und hat als Korrespondentin und Redakteurin für The Economic Times, Business Standard, The Indian Express und Business Today gearbeitet.