Frauengesundheit

Brustkrebs: „Wir können mutiger und stärker sein, als wir denken.“

Lynette Jackson, eine Brustkrebsüberlebende aus der Schweiz, erzählt, wie sie die schwere Zeit der Diagnose und Behandlung und den Weg aus ihrer Krankheit bewältigt hat.

5min
Santina Russo
Veröffentlicht am 4. Oktober 2021

Drei Frauen, drei Länder, drei Brustkrebsgeschichten. Im ersten Teil dieser dreiteiligen Serie trifft sich Lynette, eine Brustkrebsbetroffene aus der Schweiz, mit unserer Journalistin und einer Fotografin am Zürichsee. Lynettes Geschichte haben wir mit Zitaten aus ihrem persönlichen Krebs-Blog „Silver Linings: a happy tale of cancer treatment“ ergänzt. [3]

Wenn Lynette Jackson über den Zürichsee blickt, leuchtet ihr Gesicht auf. Die 49-jährige ehemalige Synchronschwimmerin trägt schon ihren Badeanzug und freut sich darauf, ins Wasser zu springen. An diesem perfekten Julitag ist der See in Meilen, einem Dorf in der Nähe von Zürich, rund 20 Grad Celsius warm.
„Beim Schwimmen und Tauchen fühle ich mich zu Hause“, sagt Lynette. In ihrem Badeanzug ist ihr wohl, sie stört sich auch nicht an der kleinen, schwach sichtbaren Narbe unterhalb ihres rechten Schlüsselbeins. „Die stammt von dem Kathetersystem für die Chemo“, erklärt sie. Die schlimmere Narbe von der Operation zur Entfernung des Tumors in ihrer linken Brust ist dagegen sicher unter dem Badeanzug verborgen.
Lynette Jackson sitzt mit der Journalistin und der Fotografin auf einer Wiese am See und berichtet über ihre Erfahrungen während ihrer Brustkrebserkrankung.

Vor etwas mehr als einem Jahr, Ende Juli 2020, spürte Lynette zum ersten Mal einen Schmerz in ihrer Brust. Einige Tage zuvor war sie etwas unglücklich in den See gesprungen. Die harte Wasserlandung und der darauffolgende Schmerz sollten ihr das Leben retten. Lynette tastete ihre Brust ab und entdeckte einen erbsengroßen Knoten. Sofort wandte sie sich an ihren Gynäkologen.

Nach einer Ultraschalluntersuchung und einer Mammografie sah zunächst alles gut aus. Ihr Arzt war nicht beunruhigt, darum machte sich auch Lynette keine Sorgen, wie sie in ihrem Blog schreibt:

Breast Cancer

Doch mit dem Ergebnis der Biopsie kam die schlechte Nachricht. Ein bösartiger Tumor. Schlimmer noch: Es handelte sich um dreifach negativen1 Brustkrebs, eine seltene und aggressive Form. „Ich hatte großes Glück, dass der Tumor so früh entdeckt wurde“, sagt Lynette. Dreifach negativ bedeutet, dass die Tumorzellen keine Östrogen- und Progesteronrezeptoren besitzen und auch kein Übermaß an HER2-Rezeptor vorhanden ist – drei Merkmale, die als Angriffspunkte für gängige Krebsmedikamente dienen. Das begrenzt die Therapiemöglichkeiten.

Das Schwierigste für Lynette war jedoch nicht die bevorstehende Therapie, sondern die Tatsache, dass sie ihren engen Freunden und ihrer Familie vom Krebs erzählen musste – vor allem auch ihren Kindern, einer Tochter und einem Sohn, die damals 13 und 15 Jahre alt waren. „Ich wollte ihnen die Wahrheit sagen, aber gleichzeitig wollte ich sie nicht beunruhigen“, erzählt Lynette. „Sie haben aber beide sehr erwachsen und liebevoll reagiert.“

HER2-Rezeptoren enthalten Bindungsstellen für Wachstumsfaktoren, also für Proteine, die die Zellteilung anregen und im Falle von Krebszellen zum Tumorwachstum führen. Sie können durch Krebsmedikamente gezielt blockiert werden.

Breast Cancer

Von Anfang an hielt Lynette ihre Erfahrungen in einem Blog fest, den sie allerdings erst am letzten Tag ihrer Chemotherapie veröffentlichte. Als Kommunikationsprofi – Lynette ist die Corporate Communcations Leiterin der Siemens AG – ist das Schreiben für sie etwas Selbstverständliches. „Meine Gedanken und Gefühle niederzuschreiben war erlösend. Das half mir bei der Verarbeitung des Ganzen“, sagt sie heute. Ihr Blog ist erstaunlich positiv und ermutigend. Zuoberst steht das Zitat: „Im Leben geht es nicht darum, darauf zu warten, dass der Sturm vorüberzieht, sondern zu lernen, wie man im Regen tanzt“. “Ich habe das Glück, dass ich generell eine positive Einstellung habe“, sagt Lynette. „Ich war fest entschlossen, mich von dieser Krankheit nicht unterkriegen zu lassen.“

Breast Cancer

Auf die Diagnose folgte die Therapieplanung. Erster Punkt auf der Liste: eine Operation, genauer gesagt eine Lumpektomie, also die Entfernung des Tumorgewebes. Dabei wurden auch die Lymphknoten untersucht, um sicherzustellen, dass sich der Krebs nicht bereits ausgebreitet hatte. Dies geschah innerhalb von zwei Wochen, nachdem Lynette den Knoten entdeckt hatte. Dann kamen die langen, harten Monate der Chemotherapie.
Jährliche Krebsneuerkrankungen in der Schweiz
Um sich vorzubereiten, sprach Lynette, die in Surrey, England, aufgewachsen ist, mit Menschen, die zuvor an Krebs erkrankt waren oder diesen gerade durchmachten – darunter Frauen aus einer englischsprachigen Selbsthilfegruppe, aber auch ihre Tante, die an Brustkrebs erkrankt war, sowie Frauen, die sie aus der Schule ihrer Kinder kannte. „Einen solchen Austausch würde ich jeder Frau empfehlen, die sich dieser Krankheit stellen muss. Es hilft einfach zu wissen, dass man damit nicht allein ist“, sagt Lynette.

Zudem erhielt sie so einige simple, aber nützliche Tipps für die Zeit der Chemotherapie – beispielsweise eine weiche Zahnbürste mit alkoholfreier Zahnpasta zu verwenden oder sich parfümfreien Lippenbalsam und weiche Kopftücher zu besorgen. „Auch war meine holländische Chemotherapie-Pflegerin wunderbar. Wir sind gemeinsam die möglichen Symptome durchgegangen, und sie hat mich ermutigt, ihr Nebenwirkungen mitzuteilen, damit das Team mir helfen kann.“

Breast Cancer

Doch die Chemotherapie war hart: „Wenn man eine andere Krankheit hat, etwa eine Grippe, fühlt man sich nicht die ganze Zeit gleich schlecht. Man ruht sich aus, und dann geht es einem etwas besser. Anders bei der Chemotherapie, da gibt es keinerlei Linderung“, sagt Lynette. Zwar arbeitete sie zunächst mehrere Monate lang weiter, „um eine gewisse Normalität aufrechtzuerhalten“, wie sie sagt, doch die Auswirkungen der Behandlung wurden immer stärker. Gegen Ende der Chemotherapie, nach 18 Wochen, war Lynette so geschwächt, dass sie an manchen Tagen kaum 100 Meter weit gehen konnte.
Lynette Jackson liegt auf dem Rücken im Wasser und lässt sich tragen: Schwimmen hat ihr schon immer Kraft gegeben.
Zumindest während der ersten Wochen half ihr das Schwimmen im See. Seit ihrer Kindheit war Lynette Schwimmerin gewesen, später dann professionelle Synchronschwimmerin für Großbritannien und so war das Wasser für sie schon immer ein Ort, an dem sie sich sicher fühlt. „Das Wasser gibt mir derart viel Energie. Das hat mir geholfen, als ich mich wegen der Chemo so richtig schlecht fühlte“, erinnert sie sich. „Außerdem kann man unter Wasser schreien, ohne dass einen jemand hört.“ Lynette würde nur dort unten schreien, um niemanden zu beunruhigen, schon gar nicht ihre Kinder. „Krebs zu haben und diese Behandlung durchzumachen ist wirklich schrecklich und beängstigend, und man muss einen Weg finden, seine Gefühle rauszulassen.“

Während dieser schwierigen Zeit waren ihre Kolleginnen und Kollegen, ihre Freundinnen und Freunde und ihre Familie, insbesondere ihr Ehemann Mark, den sie als ihren „Felsen“ bezeichnet, eine unglaubliche Stütze. „Die Liebe, die ich von meinen Freunden spürte, die mir Carepakete schickten, nach jeder Chemo anriefen und schrieben und mir sagten, dass sie stolz auf mich seien und dass alles gut werden würde – das hat mich merken lassen, was für besondere Menschen ich in meinem Leben habe.
Als letzte Maßnahme unterzog sich Lynette einer mehrwöchigen Strahlentherapie, um das Risiko zu verringern, dass der Krebs zurückkommt. Diese war nun „nicht annähernd so schlimm wie die Chemotherapie“. Im Januar 2021, weniger als einen Monat nach der letzten Chemotherapie-Behandlung, ging Lynette zum ersten Mal seit ihrer Diagnose wieder joggen.
„Es macht mich stolz, dass ich mich dieser schrecklichen Situation stark und mutig gestellt habe“, sagt Lynette heute. Sie ist gerade aus dem Wasser gestiegen, triefend nass und glücklich. Hat die Krankheit sie verändert? „Ich denke schon“, sagt Lynette. „Ich habe jetzt eine breitere Sicht der Dinge. Einen Rat, den ich Frauen geben würde: Wenn du gesund bist, mach dir keine Sorgen über Kleinigkeiten, wie zum Beispiel dein Körperbild. Liebe dich so, wie du heute bist. Und warte nicht auf den nächsten Urlaub oder auf schönes Wetter, um das Leben zu genießen, sondern freue dich über jeden Tag, genauso wie er ist.“
Eingehüllt in ihr Handtuch lächelt Lynette. Der See ist einer ihrer Lieblingsplätze und macht sie glücklich.

Breast Cancer

Lynette betont auch, dass sie der Behandlung nur deshalb so positiv gegenübertreten konnte, weil ihr Tumor früh entdeckt wurde. Seitdem hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, die Frauen in ihrem Bekanntenkreis zu ermahnen, ihre jährlichen gynäkologischen Kontrolluntersuchungen nicht aufzuschieben. „Ich verstehe, wenn Frauen aus Angst vor einem negativen Ergebnis nur ungern zur Untersuchung gehen. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich ihnen aber sagen, dass sie sich selbst vertrauen sollen. Wir können mutiger und stärker sein, als wir denken.“
Lynette Jackson steht auf der Badeleiter am Zürichsee. Sie ist froh, dass ihr Tumor früh erkannt wurde.

Breast Cancer


Von Santina Russo
Santina Russo ist Wissenschaftsjournalistin und lebt in Zürich, Schweiz.