Bildgebung

Neurologie: „Wir haben ein gemeinsames Leben mit diesen Patient*innen“

Für die Bildgebung neurologischer Erkrankungen gibt es keine Standardmethode. Die Entwicklung der 7-Tesla-Magnetresonanztomo-graphie (7T MRT) hat jedoch für viele Patient*innen die entscheidende Wende gebracht.

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Doris Pischitz
Veröffentlicht am 27. März 2023

Perspectives sprach mit Professor Maxime Guye, MD, PhD, stellvertretender Leiter des Center for Magnetic Resonance in Biology and Medicine (CRMBM) an der Universität Aix-Marseille (AMU) und Leiter der medizinischen Dependance des CRMBM am Universitätsklinikum Timone in Marseille, Frankreich.

Professor Guye koordiniert die „7T Aix-Marseille Initiative“ rund um den vom CRMBM betriebenen 7T MRT. Seine Forschungsinteressen sind Ultrahochfeld-MRT in der Neurologie, die Kombination und der Vergleich multimodaler MRT-Methoden mit elektrophysiologischen Aufzeichnungen sowie die Konnektivität des Gehirns.

Seit 2015 nutzen wir am CRMBM einen 7T-MRT-Forschungsscanner. Unser Zentrum gehört zum Universitätsklinikum Timone; Forschungsschwerpunkte sind das zentrale Nervensystem (CMS), das Herz-Kreislauf-System und der Bewegungsapparat. Mein Team nutzt das 7T-System für die neurowissenschaftliche Forschung. In Marseille befassen sich mehrere große Institute mit Epilepsie: das Institut für Neurowissenschaften, insbesondere das Institut de Neurosciences des Systèmes, ebenso wie klinische Abteilungen für Neurochirurgie und funktionelle Neurochirurgie am Universitätskrankenhaus. Und dann haben wir noch das Institut de Neurobiologie de la Méditerranée, eine große Einrichtung, die sich mit dem Einsatz von MRT bei Epilepsie beschäftigt.

Epilepsie ist eine vielschichtige Krankheit, die durch wiederkehrende Anfälle gekennzeichnet ist. Bei den gutartigen Formen können die Patient*innen ihre Erkrankung medikamentös perfekt kontrollieren und ein normales Leben führen. Ein Drittel der Patient*innen ist jedoch arzneimittelresistent und erleidet trotz Einnahme von Antiepileptika weiterhin Anfälle. Die Folgen können psychologischer, kognitiver und sozialer Natur sein. Die Anfälle können jederzeit auftreten, sodass die Patient*innen kein normales Leben führen, nicht gehen, nicht arbeiten, nicht Auto fahren können usw. Darüber hinaus haben sie eine geringere Lebenserwartung. Epilepsie ist zudem lebensgefährlich, denn ein Krampfanfall kann auch tödlich verlaufen.

Sehr wichtig für die Lebensqualität sind auch die Nebenwirkungen von Antiepileptika. Das ist wohl einer der Faktoren, die am stärksten mit schlechter Lebensqualität korrelieren. Wenn es gelingt, all diese Probleme zu beseitigen – Nebenwirkungen, Begleiterkrankungen, Anfallshäufigkeit und Anfallsschwere – lässt sich die Lebensqualität verbessern.

Vor allem bei Patient*innen mit fokalen Epilepsien ist es sehr wichtig, eine Läsion zu finden. Liegt eine Läsion im Gehirn vor, ist die Epilepsie wahrscheinlich lang anhaltend, da die Läsion nicht einfach spontan verschwindet. Einige Läsionen erzeugen eine starke epileptische Aktivität im Gehirn, was häufig mit einer Arzneimittelresistenz einhergeht. Wir wissen, dass in diesen Fällen die Prognose in Bezug auf Arzneimittelresistenz sehr ungünstig ist. Wenn wir also eine Läsion finden, ist das eine Indikation für eine frühzeitige Operation. Außerdem lässt sich in den meisten Fällen ein gutes chirurgisches Ergebnis erzielen, wenn man eine Läsion findet. Aber natürlich stellt eine Läsion allein nicht das Gesamtbild der epileptogenen Zone bei diesen Patient*innen dar. Deshalb müssen wir die entdeckte Läsion im Gehirn immer in Kombination mit anderen Untersuchungen betrachten: Elektroenzephalogramm (EEG), Magnetoenzephalographie (MEG) und das klinische Bild. Diese Informationen führen wir zusammen und entwickeln daraus eine chirurgische Strategie.
Geschwindigkeit ist bei 7T nicht wirklich zentral. Ich denke, die wichtigste Auswirkung der Deep-Learning-Rekonstruktion ist die Zeitersparnis bei der ultrahochauflösenden Bildgebung. Aber das kann sicherlich auch helfen, Bewegungsartefakte zu vermeiden.

[Erklärung multinukleare MRT]

Bei der multinuklearen oder X-Kern-MRT wird nicht Wasserstoff, sondern z. B. Natrium oder Phosphor abgebildet. Sie kann hilfreich sein, um Informationen zu Physiologie oder zum Energiestoffwechsel zu gewinnen.
Ich würde sagen, 7-Tesla ist hilfreich bei allen entzündlichen vaskulären oder tumorösen Läsionen, bei denen 3T keine ausreichenden Informationen liefert. Das gilt natürlich für Fälle, die bei 3T-MRT unauffällig sind, aber auch für Fälle, in denen 3T nicht genügend Informationen für eine sichere Diagnose liefert. Bei vaskulären Läsionen, bei Erkrankungen kleiner Gefäße, kann sie also als Hilfsmittel für die Untersuchung von Mikroblutungen und Mikroinfarkten dienen. Beispielsweise lässt sich so die Gefäßwand besser abbilden. Nützlich ist sie auch bei Tumoren, wenn kleine Läsionen vorliegen, kleine Tumore wie etwa Geschwülste der Hypophyse, aber auch zur besseren Abgrenzung oder Einstufung von Gliomen und zur besseren Abgrenzung der Gliomränder.[1-6]
In meiner Einrichtung erfüllt sie eine doppelte Aufgabe. Zum einen ist sie in der Forschung ein wunderbares Instrument zur Entwicklung neuer relevanter Biomarker für die Frühdiagnose und für eine bessere Prognose bei neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen. Und andererseits hilft sie uns in der klinischen Routine, wie gesagt, bei den Indikationen Epilepsie und allen Läsionen, die sich bei 3T nicht eindeutig diagnostizieren lassen. Und ebenso in der Neurochirurgie, denn wenn sich der Rand einer Läsion genauer abgrenzen lässt, ist das für ein*en Neurochirurg*in eine sehr wertvolle Information.
Das ist natürlich eine persönliche Frage. Wir teilen unser Leben mit diesen Patient*innen. Wir überbringen gute und schlechte Nachrichten. Wir begleiten Patient*innen über Jahre hinweg, manchmal von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter, denn arzneimittelresistente Epilepsien beginnen häufig schon in der Kindheit. Manchmal klären wir über Nebenwirkungen auf. Manchmal gehen Operationen mit sehr schwierigen Komplikationen einher. Wenn während der Stereo-Elektroenzephalographie (SEEG) eine Komplikation auftritt, tun wir unser Bestes, um der Familie und dem*der Patient*in beizustehen. Es gibt also viel Freude, aber auch einige traurige Situationen. Wenn wir eine*n Patient*in anfallsfrei machen können, von der Krankheit befreien können, gewinnen wir alle.

Von Doris Pischitz
Doris Pischitz ist Redakteurin in der Unternehmenskommunikation bei Siemens Healthineers. Das Team ist spezialisiert auf Themen rund um Gesundheit, Medizintechnik, Krankheitsbilder und Digitalisierung.