Labordiagnostik

Eine schleichende Gefahr

Die nichtalkoholische Fettlebererkrankung wird immer häufiger, ist aber reversibel.

5min
Sameh Fahmy
Veröffentlicht am July 22, 2022

Wie viele Patient*innen hatte auch Tony Villiotti noch nie etwas von der nichtalkoholischen Fettlebererkrankung (NAFLD) gehört, ehe sein Arzt ihm zum ersten Mal von dieser immer häufiger auftretenden Erkrankung erzählte. Schleichend, fast unbemerkt, verschlechterte sich sein Zustand: Schließlich führte er gar zu Leberkrebs, der eine Lebertransplantation notwendig machte. Villiotti gründete daraufhin eine gemeinnützige Organisation, um darauf aufmerksam zu machen, dass eine frühzeitige Diagnose und Behandlung verheerende Folgen verhindern kann.

„Nichts geht über Früherkennung“, sagt Villiotti. „Das ist das Wichtigste, was eine Patientin oder ein Patient tun kann. Je früher man’s erkennt, desto früher kann man reagieren und hoffentlich das Fortschreiten der Krankheit aufhalten.“

Die Leber filtert Giftstoffe aus dem Blut, unterstützt die Verdauung durch die Produktion von Gallenflüssigkeit und trägt neben vielen anderen wichtigen Funktionen zur Regulierung des Energiehaushalts bei. NAFLD tritt auf, wenn sich abnormale Fettmengen in der Leber ansammeln, und sie betrifft weltweit jeden vierten Erwachsenen [1].
In den kommenden Jahren wird NAFLD aufgrund der weltweit zunehmenden Fettleibigkeit noch häufiger auftreten, so die Prognose [2]. Zu den weiteren Erkrankungen, die ein erhöhtes NAFLD-Risiko nach sich ziehen, gehören Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Bluthochdruck. Neunzig Prozent der Menschen mit zwei oder mehr stoffwechselbedingten Risikofaktoren wie Fettleibigkeit, Diabetes und ungesunden Blutfettwerten haben auch NAFLD [3]. Die Krankheit tritt immer häufiger bei Kindern und jungen Erwachsenen auf [4]. NAFLD tritt auch bei etwa 10 Prozent der Menschen auf, die nicht fettleibig sind [5].

Dr. Arun J. Sanyal, Direktor des Stravitz-Sanyal-Instituts für Lebergesundheit an der Virginia Commonwealth University School of Medicine in den USA, berichtet, dass Patienten mit NAFLD oft keine Symptome angeben. Er fügt hinzu, dass, wenn Symptome vorhanden sind, diese typischerweise vage und unspezifisch seien, wie etwa Müdigkeit.

„Die Fettlebererkrankung ist eine sehr chronische und weitgehend stille Krankheit, so dass man sie nicht findet, wenn man nicht nach ihr sucht“, sagt er. „Wenn Sie Risikofaktoren für eine Fettlebererkrankung wie Diabetes, Fettleibigkeit und dergleichen haben, müssen Sie gezielt nach einer Fettlebererkrankung suchen.“

Die schwerere Form der NAFLD ist die nichtalkoholische Steatohepatitis (NASH), bei der sich die Leber entzündet und geschädigt wird. Dabei kann es zur Narbenbildung, einer so genannten Fibrose, kommen. Die Leber verfügt jedoch über die bemerkenswerte Fähigkeit, sich selbst zu reparieren – eine Gewichtsabnahme, die Kontrolle von Diabetes, die Senkung des Blutdrucks und die Behandlung anderer Risikofaktoren im Zusammenhang mit NASH können das Fortschreiten der NAFLD aufhalten oder sogar umkehren.

Villiotti kämpfte mit Diabetes und Fettleibigkeit, ließ diese Krankheiten aber regelmäßig von seinem Hausarzt überwachen. Man riet ihm abzunehmen, sich gesünder zu ernähren und Sport zu treiben. Ahnliche Ratschläge hatte er schon während seines gesamten Erwachsenenlebens gehört. Sein Arzt erwähnte erhöhte Leberenzymwerte, erklärte ihm aber nicht, was diese Ergebnisse bedeuteten. Als er zu einem Leberspezialisten geschickt wurde, stellte sich heraus, dass seine NAFLD tatsächlich schon zu NASH und Zirrhose fortgeschritten war – was eine irreversible Schädigung der Leber bedeutete.

„Zwischen der Diagnose einer Fettleber und dem Tag, an dem man mir sagte, dass ich wahrscheinlich eine Zirrhose hatte, vergingen neun Jahre“, sagt er. „In dieser Zeit hatte ich 18 Arztbesuche und wusste bis zum letzten nicht, dass das Risiko einer Zirrhose bestand.“ Dr. Sanyal sagt, dass Geschichten wie die von Villiotti nur allzu häufig vorkommen. Ärzt*innen ignorieren oft erhöhte Leberenzymwerte oder versäumen es, die Patient*innen vor den möglichen Folgen einer NAFLD zu warnen.

„Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie oft wir Patient*innen sehen, denen gesagt wurde: ‚Sie haben einen leicht erhöhten Leberenzymwert, machen Sie sich aber keine Sorgen‘“, sagt er. „Wenn schließlich eine Zirrhose diagnostiziert wird und er oder sie zu uns kommt, sehen wir in den Unterlagen, dass die Leberenzyme seit zehn Jahren erhöht sind und niemand mit ihm oder ihr darüber gesprochen hat. Das passiert immer und immer wieder.“

Nach der Leberkrebsdiagnose wurde Villiotti auf die Warteliste für ein Spenderorgan gesetzt. Während der Wartezeit erlitt er Komplikationen, mit denen er fünfmal in der Notaufnahme landete. Darunter war auch ein tragischer Vorfall, bei dem seine Leberfunktion so stark beeinträchtigt wurde, dass Giftstoffe in sein Gehirn gelangten und seine Sprache und sein Gedächtnis beeinträchtigten.

Ein Jahr und einen Tag nach der Krebsdiagnose erhielt Villiotti eine Spenderleber. Er betont, dass er weiß, wie viel Glück er hat. Viele Patient*innen sterben, während sie auf der Warteliste stehen, oder sind medizinisch zu schwach, um eine Transplantation zu verkraften [6]. Die steigende Prävalenz von NASH droht die ohnehin schon schwierige Situation weiter zu verschlechtern. „Mein Leben wurde durch die selbstlose Tat eines Menschen gerettet, der seine Leber gespendet hat. Das ermöglichte mir zu leben“, sagt Villiotti. „Ich fühlte mich verpflichtet, das weiterzugeben und andere in meiner Situation davon abzuhalten, in meine Fußstapfen zu treten.“

Im Jahr 2018 gründete Villiotti die gemeinnützige Organisation NASH kNOWledge (EN), um das öffentliche Bewusstsein für NAFLD und NASH zu schärfen und Aufklärung zu betreiben. Er fordert die Menschen auf, sich ihrer Risikofaktoren bewusst zu sein und mit ihren Ärzt*innen über Tests zu sprechen, die bei der Diagnose oder Überwachung dieser stillen und oft übersehenen Krankheit helfen können. „Frühzeitige Sensibilisierung ist der Schlüssel zum Kampf gegen diese Krankheit“, sagt er. „Sie kann rückgängig gemacht werden – doch als ich die Diagnose erhielt, war es bereits zu spät.“

  • Bei der nichtalkoholischen Fettlebererkrankung (NAFLD) wird überschüssiges Fett, dessen Ursprung nicht starker Alkoholkonsum ist, in der Leber gespeichert.
  • In 20 bis 30 Prozent der Fälle entwickelt sich NAFLD zu einer nichtalkoholischen Steatohepatitis (NASH), die zu Lebervernarbung (Fibrose) führen kann. In schwereren Fällen kann NASH zu Zirrhose und Leberkrebs führen [7].
  • Die jährliche Kostenbelastung durch NAFLD beträgt in den Vereinigten Staaten 103 Milliarden US$ und in Deutschland, Frankreich, Italien und dem Vereinigten Königreich zusammen 35 Milliarden € [8].
  • Forscher*innen gehen davon aus, dass die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit NAFLD bis 2030 um 178 Prozent steigen wird [9].
  • Eine Gewichtsabnahme und eine Änderung des Lebensstils können dazu beitragen, das Fortschreiten von NASH zu verlangsamen oder sogar umzukehren.

Von Sameh Fahmy
Sameh Fahmy, MS, ist ein mehrfach ausgezeichneter freiberuflicher Medizin- und Technologie-Journalist. Er lebt in Athens, Georgia, USA.