Andre Wichmann looking earnest in his computer.
Künstliche Intelligenz

Seltene Erkrankungen verursachen nicht seltener Leid 

Die meisten Menschen haben noch nie von ILD gehört. Doch in den USA sterben daran jedes Jahr fast so viele Menschen wie an Leukämie: über 21.0001. Unser Kollege Andre Wichmann arbeitet daran mit, dies zu ändern. 

Meike Feder
Veröffentlicht am September 4, 2023

Bis Betroffene eine Diagnose ihrer Interstitiellen Lungenerkrankung (ILD - Erkrankungen, die das Zwischengewebe der Lunge betreffen) bekommen, können Jahre vergehen. Über 40 Prozent bekommen sie nach mehr als einem Jahr, fast 20 Prozent sogar erst nach 3 Jahren, in denen sie verunsichert immer wieder medizinische Hilfe suchen.2 Wenn die Diagnose da ist, erfahren sie auch, wie unsicher ihre weitere Prognose ist. “Es gibt heute noch keine Stadieneinteilung und keine Instrumente, um das Fortschreiten der Krankheiten vorherzusagen”,3 erläutert Andre Wichmann, unser Kontakt zum OSIC, dem Open Source Imaging Consortium.


Dieses gemeinnützige Konsortium hat sich zum Ziel gesetzt, Grundlagen für die Verbesserung von Erkennung, Diagnostik und Therapie von ILD zu schaffen. Siemens Healthineers war vor vier Jahren eines der Gründungsmitglieder. Angestoßen durch die Business Line Computed Tomography, unterstützte das sogenannte „incubation team“ innerhalb der Strategieabteilung die Umsetzung. „Es war aufregend zu sehen, dass unser Unternehmen in dieser Form multilateral mit verschiedenen Partnern zusammenarbeitet“, erklärt Wichmann. 

Unser fachliches Wissen rund um die Bildgebung ist dabei ein großer Vorteil für das Konsortium. Um die Erkrankungen zu diagnostizieren, ist ein hochaufgelöstes Computertomographie-Bild (HRCT) der Lunge nötig. Doch selbst wenn dieses vorliegt, würden sich die meisten medizinischen Spezialist*innen mit der Diagnose schwertun: ILD sind einerseits selten, anderseits gibt es eine hohe Zahl verschiedener ILD, deren Symptome oft nicht eindeutig sind. Das macht die genau Diagnose meist sehr schwierig, selbst für Spezialist*innen.4

Interstitiellen Lungenerkrankungen (ILD) sind ein Oberbegriff für verschiedene Erkrankungen, die das Interstitium (das Zwischengewebe) der Lunge betreffen.


Die Symptome umfassen:

⦁    Atemnot

⦁    Trockener Husten

⦁    Gewichtsverlust

⦁    Schnelles Ermüden

cinematic rendering of a lung with interstitial lung disease, orange lung on black background

“Im Konsortium legen führende MedTech- und Pharmaunternehmen, Gesundheitseinrichtungen und Patientenvertretungen den Grundstein für schnelle Fortschritte im Kampf gegen fibrosierende Lungenerkrankungen,” sagt Wichmann. Er leitet dabei das Teilprojekt Data Privacy and Architecture. Beim Aufbau einer Datenablage-Plattform und der damit verbundenen Prozesse begegnete das Team nicht nur technischen Herausforderungen, sondern musste auch sicherstellen, dass die klinischen Daten vollständig und korrekt ein- und ausgegeben werden, dass sie komplett anonymisiert sind und der Datenschutz der Nutzenden gewährleistet ist. 

Fibrose ist eine Gewebeveränderung durch die Vermehrung von Bindegewebszellen und Kollagenfasern.

Andre Wichmann in close-up


„Es ist meine Aufgabe als Projektleiter, die Fäden zusammenzuführen und zusammenzuhalten, über unsere Abteilungen hinweg, im Projekt OSIC auch über das Unternehmen hinaus“, sagt der studierte Elektrotechniker, der sich schon früh in den Bereich Medizintechnik orientiert hat: „Ich fand immer schon sehr spannend, dass hier mehrere Fachgebiete zusammenkommen: Technik, Medizin, Physik, inzwischen auch Informatik.” 

Während seines Studiums machte Wichmann ein halbjähriges Praktikum am Marburger Ionenstrahl-Therapiezentrum, das damals aufgebaut wurde. Dabei verfestigte sich seine Neigung in Richtung Medizintechnik: “Letztlich war es vielleicht die Frage nach dem Sinn. Den Menschen einen Mehrwert bietet, ihnen helfen. In der Medizin ist der Bedarf riesig und auch das Potenzial für neue Lösungen ist riesig.” 

In unserer Strategie-Abteilung ist Wichmann nun seit vier Jahren genau am richtigen Platz, um das Potenzial verschiedener Lösungen über das gesamte Unternehmen zu begleiten.

Die anonymisierten Datensätze von Patient*innen mit ILDs aus der ganzen Welt können dank seiner Arbeit nun in eine sichere Datenbank zusammengeführt werden. „In naher Zukunft haben wir einen weiteren Entwicklungsschritt vor uns: Wir gehen mit der Datenbank in die Cloud, wo dann auch die Qualitätsprüfung direkt erfolgt und der Zugriff deutlich einfacher ist“, erläutert Wichmann. 

Somit sind OSIC und seine Mitglieder einen Schritt näher an ihrem Ziel: Mithilfe anonymisierter klinischer Bilder und Daten die Entwicklung von Algorithmen durch maschinelles Lernen zu ermöglichen. Diese sollen am Ende Ärzt*innen helfen, die Anzeichen einer ILD zu erkennen und die Erkrankung zu diagnostizieren. Die Lösungen, an denen wir und die anderen Mitglieder von OSIC nun in den nächsten Jahren arbeiten, werden dann voraussichtlich Patient*innen weltweit helfen können. 

Andre Wichmann in front of a light element

Besonders wichtig werden diese Lösungen voraussichtlich in Kombination mit Lungenkrebs-Screening-Programmen: „Durch Screening Programme werden viele CT-Bilder gemacht. Wenn KI-Lösungen diese vorbearbeiten, könnten sie darin nicht nur vielleicht Krebs erkennen, sondern auch Frühstadien von Lungenfibrose.“ Damit wäre dann auch möglich, früher mit Therapien ansetzen und Krankheitsverläufe über einen längeren Zeitraum als bisher zu verfolgen. 

„Die Hoffnung ist, dann auch bessere Prognosen machen zu können“, sagt Wichmann. Für die Patient*innen mit ILDs und ihre Angehörigen gäbe es dann endlich mehr Gewissheit, wie es weitergeht.


Von Meike Feder

Meike Feder ist Redakteurin bei Siemens Healthineers. Ihr Fokus liegt auf Themen rund um die Patient*innenversorgung.