Innovationskultur

Eine Geschichte voller Innovationen

Siemens Healthineers prägt mit seinen Innovationen seit 50 Jahren die Entwicklung der Computertomographie (CT). Mit der Entwicklung der photonenzählenden CT setzt das Unternehmen seine Innovationsgeschichte konsequent fort.
5min
Ingo Zenger
Veröffentlicht am 30. Mai 2025
London, im Herbst 1971: 76 Jahre nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen hüpfen ein Radiologe und ein Ingenieur – wie einer der beiden später erzählt – vor Freude „auf und ab wie zwei Fußballspieler beim Siegtor“. Die beiden halten ein völlig neuartiges Röntgenbild in der Hand: eine sogenannte Tomographie, die ein Gehirn in bisher ungekannter Qualität abbildet.
Die Geschichte der Computertomographie bei Siemens beginnt denn auch mit einer Reise der Entwicklungschefs nach London. In der Grundlagenforschung bei Siemens in Erlangen wird noch 1972 eine eigene CT-Entwicklungsabteilung eingerichtet, und schon 1975 bringt Siemens seinen ersten Computertomographen auf den Markt: Der Schädelscanner SIRETOM erzeugt Schnittbilder des Gehirns und benötigt pro Scan einer Doppelschicht knapp fünf Minuten. Bereits zwei Jahre später dauert eine Kopfaufnahme mit einem Siemens-Ganzköperscanner nur noch fünf Sekunden. Und auch Untersuchungen von Leber, Darm und Gelenken sind möglich.
Um noch während der Untersuchung ein Bild liefern zu können, ist das SOMATOM 1983 mit dem damals schnellsten serienmäßigem Bildrechner der Welt ausgestattet. In den ersten zehn Jahren ist dennoch nichts an der grundlegenden Technik der CT-Scanner verändert worden. Die Leistungsgrenze liegt vor allem an der Arbeitsweise des Mess-Systems: Beschleunigung, 360-Grad-Drehung, Abbremsen, Stopp, Drehung in die andere Richtung, Stopp. Mit dem SOMATOM Plus und seiner kontinuierlichen Rotation überwindet Siemens 1987 diese Grenze: Bisher wurde der rotierende Teil des CT über Kabel mit Strom versorgt, nun wird die Energie mit Schleifringen übertragen.
Deutlich höhere Geschwindigkeit bedeutet deutlich mehr Daten. Zur Übertragung nutzt Siemens ein optoelektronisches System. Auch die anderen Komponenten des SOMATOM Plus sind an die höhere Geschwindigkeit angepasst: Die Röntgenröhre leistet doppelt so viel wie bisherige Röhren und kühlt wesentlich schneller ab.
Die kontinuierliche Rotation schafft die Grundlage für die Spiral-CT. Die Röntgenstrahlen tasten den Körper dabei spiralförmig ab. Die Software zur Bildrekonstruktion muss dafür auch den Tischvorschub berücksichtigen.
Die enormen Datenmengen der Spiral-CT lassen sich ab Mitte der 1990er-Jahre erstmals dreidimensional darstellen. Ebenfalls einzigartig sind Detektoren aus Ultra Fast Ceramics (UFC), die das bisher verwendete Xenon-Gas ersetzen, die Röntgenstrahlen nahezu vollständig absorbieren und sie vergleichsweise verlustfrei in elektrische Signale umwandeln. In Kombination mit immer fortschrittlicher Software führt dies auch zu deutlich geringeren Strahlendosen.
1998 geht Siemens mit der Einführung der Mehrschicht-CT einen weiteren Schritt. Sie teilt den Detektor in mehrere Zeilen, die die Signale der Röntgenröhre voneinander unabhängig verarbeiten und deshalb mehrere Schichten pro Umdrehung aufnehmen. Ganze Organe können in hoher Auflösung abgebildet werden – und erstmals auch die Herzkranzgefäße.
Schon knapp drei Jahre später geht Siemens mit dem weltweit ersten 16-zeiligen CT den nächsten Schritt: Der Sprung auf 16 Zeilen und die Rotationszeit auf 0,4 Sekunden macht nun auch die feinen Seitenäste der Herzkranzgefäße sichtbar.
Doch die Belastung für die Röntgenröhre durch Hitzeentwicklung bei langen Scans und die mechanische Belastung der Drehlager ist hoch. Abhilfe schafft die Straton-Röntgenröhre, eine Drehkolbenröhre. Bei dieser Bauweise rotiert die komplette Vakuumröhre. Das macht sie deutlich robuster und kompakter; zudem führt sie etwa zehnmal mehr Hitze ab.
Eine Revolution der Technik setzt dann eine komplette Neukonstruktion des CT-Grundgerüsts voraus: der erste Dual-Source-CT mit zwei Röhren-Detektor-Systemen. Das SOMATOM Definition benötigt zur Datensammlung pro Schicht einer 180-Grad-Rotation lediglich eine 90-Grad-Drehung. Kombiniert mit der Rotationszeit von nur 0,33 Sekunden ergibt sich eine zeitliche Auflösung von 0,083 Sekunden, zum Beispiel für gestochen scharfe Aufnahmen des bewegten Herzens.
Die Integration von Photodiode und Signalumwandler in einen Chip im Stellar Detektor verringert das Elektronikrauschen und die Patientendosis um bis zu 30 Prozent. Gleichzeitig werden Strukturen von bis zu 0,30 Millimeter sichtbar. Die Reduzierung der Strahlendosis spielt auch bei der Entwicklung der Vectron-Röntgenröhre eine wichtige Rolle. Mit ihr können auch Menschen mit mehr Körperfülle mit niedriger Röhrenspannung und damit geringerer Dosis untersucht werden. Das SOMATOM Force schließlich reizt alle High-End-Komponenten von Siemens aus: Die 1,6 Tonnen schwere Gantry rotiert viermal in der Sekunde um die Patientin oder den Patienten. Die erreichbare Auflösung liegt bei 0,24 Millimetern und die Strahlenbelastung beispielsweise bei einem Lungenscan bei 0,1 Millisievert.
Um diese enorme Menge an dreidimensionalen Daten konstruktiv einzusetzen, entwickeln die Ingenieurinnen und Ingenieure neue Werkzeuge. Was ausgeklügelte Software kann, zeigen die Bilder des Cinematic Rendering. Gleichzeitig hält künstliche Intelligenz in der CT Einzug – und zwar sowohl in die Scan-Vorbereitung als auch in die Auswertung: Der myExam Companion unterstützt Anwender*innen bei der optimalen Vorbereitung des Scans, und der AI-Rad Companion Chest CT1 kann Radiolog*innen bei der Beurteilung von Ergebnisbildern entlasten.

Ende der 2010er Jahre hat die Computertomographie ein Niveau erreicht, auf dem sich die Leistung herkömmlicher Systeme kaum noch steigern lässt. Das technische Potenzial ist aus physikalischen Gründen praktisch ausgeschöpft. Die Bildqualität kann mit der konventionellen Technik nicht mehr nennenswert verbessert, die Dosis nicht weiter reduziert werden. In der Vergangenheit hat Siemens Healthineers solche physikalischen Grenzen mit Hilfe von Erfindungen wie Spiral-CT oder Dual Source CT umgangen – und auch der nächste große Fortschritt kann nur mit einem völlig neuen Ansatz gelingen. 

Bereits 2001 hat ein Team der Grundlagenforschung von Siemens Healthineers mit der Arbeit an einer CT-Technologie für die Zukunft begonnen. Ein neuartiges Detektormaterial hat das Potenzial, die Computertomographie mit einem Schlag auf eine neue Stufe zu heben: Kristalle aus Cadmiumtellurid, die die Photonen ohne Informationsverlust direkt in elektrische Signale umwandeln. Diese sogenannten photonenzählenden Detektoren „zählen“ jedes einzelne Photon, das den Körper einer Patientin oder eines Patienten durchdringt, und messen gleichzeitig dessen Energie. In den folgenden 20 Jahren entwickelt das stetig wachsende Projekt-Team zahlreiche neue Technologien und meldet mehr als 500 Patente zur photonenzählenden Computertomographie an. Im Herbst 2021 ist der weltweit erste photonenzählende Computertomograph schließlich bereit für den klinischen Einsatz: Siemens Healthineers präsentiert NAEOTOM Alpha am 16. November 2021 der Öffentlichkeit. Zahlreiche Fachleute sprechen von einer Neuerfindung der Computertomographie. In den Erfahrungsberichten der ersten Anwenderinnen und Anwender fallen Wörter wie „wirklich unglaublich“ und „Quantensprung“, die photonenzählende Technologie werde „die Computertomographie in ein neues Zeitalter der Medizin katapultieren.“

Zwei Jahre nach der Vorstellung des NAEOTOM Alpha sind bereits mehr als 500.000 Menschen mit der photonenzählenden CT gescannt worden – eine Zahl, die laut Siemens Healthineers in den kommenden zehn Jahren auf eine Milliarde ansteigen soll. „Die Zukunft liegt im Photon-counting“, sagt Philipp Fischer, der Leiter des Geschäftsgebiets Computertomographie bei Siemens Healthineers. „Wir sind bereit, in einen breiten Markt vorzudringen, den nächsten Schritt zu gehen und das Leben von Millionen Patientinnen und Patienten positiv zu beeinflussen.“ Auf dem Kongress der Radiological Society of North America (RSNA) 2024 stellt Siemens Healthineers die NAEOTOM Alpha-Klasse vor, mit der das Unternehmen die photonenzählende-Technologie für mehr Ärztinnen und Ärzte sowie Patientinnen und Patienten zugänglich zu machen möchte. „Mit der NAEOTOM Alpha Klasse machen wir einen bedeutenden Schritt nach vorn, um unser photonenzählendes CT-Portfolio weiter auszubauen“, betont Philipp Fischer. „Wir glauben, dass bis 2040 jedes CT ein photonenzählendes CT sein wird.“


Von Ingo Zenger
Ingo Zenger ist Autor am Historical Institute von Siemens Healthineers.