Bildgebung

Die MRT wird bald 50 – was bringt die Zukunft?

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Philipp Grätzel von Grätz
Veröffentlicht am 3. Dezember 2020

Die Magnetresonanztomografie (MRT) stellt in vielen Bereichen der Medizin den Goldstandard bei der bildgebenden Diagnostik dar. Doch sie ist noch längst nicht überall gleichermaßen verfügbar. Aber die Technologie schreitet schnell voran. Die nächste Generation der MRT könnte ganz anders aussehen – und viel mehr Patienten zugutekommen.

Die MRT, ein Produkt der 70er Jahre, ist vielleicht das leistungsstärkste diagnostische Verfahren, dass jemals im Gesundheitswesen entwickelt wurde. Die erste MRT eines Menschen wurde 1977 vorgenommen. Mit Blick auf den 50. Jahrestag dieses Ereignisses in einigen Jahren ist es Zeit, nachzufragen, wie diese Technologie sich weiterentwickelt hat – und ob uns eine weitere Umbruchphase bevorsteht.
Bei der MRT geht es heute meistens um die Visualisierung von Wassermolekülen oder Protonen. Deswegen ist die Darstellung von Weichgewebe immer schon die große Stärke dieser Technologie gewesen. Die Paradedisziplin der MRT ist die Gehirn-Diagnostik. Sie kann nicht nur Tumore, ischämische Schlaganfälle und Blutungen anzeigen, sondern liefert auch funktionelle Informationen über das Gehirn, zum Beispiel durch Darstellung jener Hirnareale, die in bestimmten Situationen aktiv sind. Weiter unten, am Rumpf, hat die MRT bei der Bildgebung im Bauch- und Beckenraum in vielen diagnostischen Situationen klare Vorteile gegenüber anderen Technologien. Zwar können die meisten Pathologien sowohl durch MRT- als auch CT-Scans sichtbar gemacht werden. Doch für die detaillierte Darstellung pathologischer Läsionen ist die MRT meist die bessere Wahl. 

Deshalb ziehen Gastroenterologen, Onkologen und Urologen häufig eine MRT einem CT-Scan vor, wenn sie wissen wollen, was genau in der Leber, der Milz oder der Prostata geschieht. Ein weiterer Schlüsselbereich für die MRT sind das Herz und die Blutgefäße. Eine Kardio-MRT kann die Anatomie der Herzwände und der Herzklappe über einen bestimmten Zeitraum hinweg darstellen und diese Bildgebung mit Daten zur Durchblutung und den Gewebeeigenschaften anreichern. So kann die MRT Herzpathologien aller Art diagnostizieren und außerdem die Funktionen des Herzmuskels und der Herzklappe sehr genau messen – alles in einem Durchgang. Der Goldstandard ist die MRT schließlich auch bei der Untersuchung der Weichteile des Bewegungsapparats – ob Bänder, Knorpel oder Muskeln. Und weil die MRT weder auf Röntgenstrahlung noch auf radioaktive Tracer angewiesen ist, ist sie bei Kindern die diagnostische Methode der Wahl in nahezu allen Situationen außer Knochenbrüchen.

MRT Installationen weltweit

Trotz ihrer Stärken ist die MRT bei weitem nicht immer überall sofort verfügbar. In den OECD-Staaten werden beispielsweise im Durchschnitt mehr als doppelt so viele CT-Untersuchungen wie MRT-Scans pro 1000 Einwohner durchgeführt. Die Wartezeiten für einen MRT-Scan sind meist viel länger als für eine CT. Auch gibt es enorme geographische Unterschiede: In Deutschland und Österreich ist die jährliche Anzahl der MRT-Untersuchungen höher als die der CT-Scans. In den meisten anderen OECD-Staaten ist es umgekehrt, und in weniger entwickelten Ländern ist die Dichte der MRT-Scanner allgemein sehr niedrig. Warum ist das so? Die kurze Antwort ist, dass die MRT ein komplexes und teures Verfahren ist. Aber schauen wir genauer hin. MRT-Maschinen benötigen einen supraleitenden Magneten und deshalb einen erheblichen Kühlungsaufwand, der meistens durch Hunderte Liter flüssigen Heliums gewährleistet wird. Wegen dieser Magnettechnologie ist die Standortwahl für MRT-Geräte eine komplizierte Angelegenheit. Bei einem Notfall oder einem ungeplanten Quench des Systems wird der supraleitende Zustand beendet; das flüssige Helium verdampft, expandiert und entweicht durch eine Quench-Leitung in die Atmosphäre. Der Einbau einer solchen Quench-Leitung ist oft teuer, weil dafür Veränderungen am Gebäude vorgenommen werden müssen. Außerdem sind Magnetresonanztomographen schwer und brauchen wegen der vielen Steuerungselemente meistens sehr viel Platz. Mit anderen Worten: Es sind nicht nur die Kosten des Scanners, die die Verfügbarkeit der MRT einschränken. Darüber hinaus gibt es viele infrastrukturelle Voraussetzungen, die schwierig oder nur mit hohen Kosten zu gewährleisten sind. Und auch die Wartung der MRT-Geräte ist aufwändiger und somit auch teurer – man denke nur an die Befüllung mit Helium und an Nutzungsausfälle. Nicht ohne Grund ist die MRT-Bildgebung in vielen Ländern viel stärker zentralisiert als die CT-Bildgebung. Ein moderner CT-Scanner kann praktisch überall aufgestellt werden: Im 20. Stockwerk, in einem kleinen Operationssaal, in der Notaufnahme oder auf einer Intensivstation. Mit einem konventionellen MRT-System ist dies viel schwieriger oder gar nicht zu bewerkstelligen.

Insgesamt dauert eine MRT-Untersuchung länger, und sie kann schwieriger durchzuführen sein als ein CT-Scan. Daher ist es nicht einfach, MRT-Untersuchungen an technische Assistenten zu delegieren. „Hub-and-Spoke“-Szenarien, welche in der CT-Bildgebung zunehmende Verbreitung finden, sind bei der MRT selten.

Die Medizintechnik hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht, wobei die wichtigsten Trends Größen-Reduzierung, Digitalisierung und Automatisierung sind. Die Frage, wie MRT-Scanner als technologische Meisterwerke von diesem Fortschritt betroffen sein werden, ist daher legitim. Es gibt Grund zu der Annahme, dass sich die MRT-Landschaft deutlich verändern könnte. Wie wäre es beispielsweise, wenn aufgrund technischer Fortschritte eine viel effizientere Kühlung möglich wäre? MRT-Geräte würden weniger schwer, sie würden weniger Platz brauchen, und die Anforderungen an die Gebäudeinfrastruktur wären weniger hoch. Was wäre, wenn mittels Digitalisierung und künstlicher Intelligenz eine stärker standardisierte und weniger fehleranfällige Handhabung ermöglicht würde? Wenn Patienten schneller in den Scannern positioniert werden könnten, Sequenzen mehr oder weniger automatisch ausgewählt würden, und Artefakte durch die Software erkannt und entfernt werden könnten? Sowohl die Zeit für die Patientenvorbereitung als auch der Zeitaufwand bei der Bildgebung könnten weiter verkürzt werden, und technische Assistenten könnten viel leichter zur Durchführung routinemäßiger Untersuchungen herangezogen werden. Und wie wäre es schließlich, wenn weniger Patienten von einer MRT ausgeschlossen werden müssten, weil die Innendurchmesser verbreitert würden und die Geräte leiser und weniger beklemmend wären? Was, wenn man eine Scannerplattform verwenden könnte, die weniger Artefakte produzierte? Neue klinische Anwendungen wären möglich, und es könnten insgesamt mehr Patienten mit MRT untersucht werden.
Wie sieht es langfristig aus? In Gesundheitssystemen auf der ganzen Welt könnte die Organisation der Bildgebung neu konzipiert werden. MRT-Systeme, die günstiger, kleiner, bedienungsfreundlicher und weniger fehleranfällig sind, könnten breitere Anwendung finden. Kleine Krankenhäuser, ambulante Kliniken jeder Art, oder auch orthopädische Praxen, könnten beispielsweise davon profitieren, eine MRT-Einheit vor Ort zu haben, ob von ihnen selbst betrieben oder in einem „Hub-and-Spoke“-Modell durch einen Radiologie-Dienstleister. Unter solchen Voraussetzungen würden die Radiologen die Berichte liefern. In Situationen, in denen ihr Fachwissen gefragt ist, könnten sie als aktiv beratende Ärzte tätig werden und, wenn nötig, das System im Tele-Betrieb steuern. Für größere Krankenhäuser könnten kleinere, mobilere und weniger leistungsfähige MRT-Scanner ebenfalls attraktiv sein. Sie könnten Notfallkapazität bieten – man denke an COVID-19 –aber auch ganz neue Arten von Dienstleistungen ermöglichen, zum Beispiel MRT-Untersuchungen in der Notaufnahme, intraoperativ oder auf der Intensivstation. Eine MRT-Plattform, die weniger anfällig für Artefakte ist, könnte auch den Weg für neue klinische Anwendungen bahnen, etwa eine verbesserte Bildgebung bei Implantaten oder eine Lungen-Bildgebung. Was wäre der Preis, wenn sich die MRT derart verändern würde? Im Falle kleinerer MRT-Plattformen mit weniger leistungsstarken Magneten würde sich das Signal-Rausch-Verhältnis unweigerlich verschlechtern. Doch das könnte durch Fortschritte in der digitalen Nachbearbeitung vielleicht größtenteils kompensiert werden. Verdrängen würden die neuen MRT-Geräte die existierenden High-End-Geräte sicher nicht. Aber sie würden neue klinische Einsatzszenarien eröffnen, die bisher nicht möglich waren. Und sie würden die MRT-Technologie in vielen Regionen der Erde verfügbar machen, die bisher noch ohne MRT auskommen müssen.

Von Philipp Grätzel von Grätz

Philipp Grätzel von Grätz lebt und arbeitet als freiberuflicher Medizinjournalist in Berlin. Seine Spezialgebiete sind Digitalisierung, Technik und Herz-Kreislauf-Therapie.