Digitalisierung umsetzbar machenKomplexe Anforderungen an eine eHealth-Plattform

26.10.2022

Ganz gleich, wen man in die Diskussion einbindet – Leistungserbringer, Kostenträger, Medizintechnik, Politik: Jeder will, dass die digitale Vernetzung im Gesundheitswesen vorankommt. Entsprechend groß war das Interesse an einer Studie von _fbeta in Zusammenarbeit mit Flying Health. Das Ziel: Lösungsansätze für ein gemeinsames Verständnis zum produktiven Einsatz von Plattformen fördern. Die Ergebnisse wurden Ende September im HSK Lab vorgestellt und in einer hochkarätig besetzten Gesprächsrunde öffentlich diskutiert.

Auch wenn es bei dem Online-Event keiner sehen konnte: Ganz sicher erntete Moderator Thilo Mahr hundertfaches Kopfnicken im Auditorium, als er sagte: „Unsere große Herausforderung besteht darin, die vorhandenen technischen und prozessualen Systeme flächendeckend sowie sektoren- und professionsübergreifend zu vernetzen.“ Wie schon der Studientitel „Steigerung von Innovation und Produktivität im Gesundheitswesen durch Einsatz digitaler Plattformen.“ sagt, es geht nicht darum, ob Plattformen den Healthcare-Bereich voranbringen. Das Wie steht im Fokus!

Potenzial von Plattformen
Was die einzelnen Plattformtypen leisten (Ausschnitt Studie, S. 72)

Was ist überhaupt eine Plattform? Die Macher*innen der Studie haben drei Typen mit unterschiedlichen Zielrichtungen vor Augen: Entwicklungs- und Produktplattformen unterstützen Hersteller und Start-Ups bei ihrer Innovationsarbeit. Der zweite Typ, die Integrationsplattform, verbindet Systeme und macht sie interoperabel, um Daten von einem System zum anderen zu transportieren und damit nutzbar zu machen. Vernetzungsplattformen schließlich bringen die Akteure zusammen, die dann interoperable Daten dazu nutzen können, Gesundheitsversorgung gemeinsam zu gestalten.

Das führt zu einem ersten Ergebnis der Studie: Danach haben insbesondere die Vernetzungsplattformen das Potenzial, die integrierte Versorgung voranzubringen.
Eine solche Typologie der Plattformen bringt quasi als Nebeneffekt eine längst fällige Sprachregelung mit sich. Darauf verwies Laura Wamprecht, Geschäftsführerin des Innovationsnetzwerkes Flying Health. Ihr Unternehmen befasst sich mit Angeboten von Start-ups. „Es gab mal eine Welle, da hieß alles, was wir gesehen haben, Plattform.“ Anhand der Typologie könne sie jetzt bestimmen, welches Produkt zu welcher Art von Plattform zähle. Das helfe künftig bei der Frage, wozu eine Plattform eingesetzt werden soll.

Mitentscheidend für den Erfolg und die Akzeptanz von Integrations- und Vernetzungsplattformen sei die Offenheit für möglichst viele Akteure, aber auch für die Einbindung von Lösungen unterschiedlicher Anbieter, so _fbeta-Geschäftsführer Karsten Knöppler. Eine Plattform lebt vom Mitmachen. Oder wie man es in der Studie auf Seite 22 nachlesen kann: „Ein hohes Maß an Offenheit ermöglicht ein sehr umfangreiches Angebot von verschiedenen Herstellern und ist aus Nutzersicht wünschenswert.“

Das ruft den Aspekt der Cybersecurity auf den Plan, was Alexander Ihls doppelt unterstrich: „Akzeptanz, Datenschutz und Sicherheit hängen eng zusammen und beeinträchtigen die Offenheit einer Plattform in keiner Weise!“, betonte der Senior Digital Solution Expert eHealth von Siemens Healthineers. „Der Anwender muss sich auf den Schutz der Daten jederzeit verlassen können.“

Das „Versorgungsszenario Multimorbidität“ als Ökosystem. Wen und was muss die Plattform abbilden bzw. einbinden?
Das „Versorgungsszenario Multimorbidität“ als Ökosystem. Wen und was muss die Plattform abbilden bzw. einbinden? (Ausschnitt Studie, S. 72)

Gemäß _fbeta-Empfehlungen dürfen Vernetzungsplattformen nicht die Leistungen und deren Erbringer in den Mittelpunkt rücken. Anstelle einer betriebswirtschaftlichen Herangehensweise sei eher volkswirtschaftliches Denken gefordert. Versorgungseffizienz entstehe nämlich erst, wenn nicht einzelne Produkte oder Akteure abgebildet werden, sondern das „Ökosystem Gesundheitswesen“ als Ganzes. Zum Beispiel die Versorgungskette für Diabetiker*innen über mehrere Jahre. Das Speichern von Daten allein strukturiere keine Prozesse. Vielmehr gehe es im Ökosystem darum, die Versorgung koordiniert zu sichern. Dazu müssten auch Tarife der Kostenträger und letztlich die Versorgungsverträge der Versicherten über die Plattform zugänglich sein.

Gerade diese „Funktion“ fehle bei manchen aktuellen Plattformen. Gleiches gelte für die Perspektive auf das Management von größeren Populationen, also die gesundheitliche Versorgung von Gruppen mit ähnlichen (Krankheits-)Merkmalen. Was eine Plattform ebenfalls abbilden müsse: ein sektorübergreifendes Fallmanagement. „Es gibt bereits alle Einzelkomponenten, aber es führt sie noch niemand zusammen“, analysierte Knöppler. „Wir haben ein Umsetzungsproblem.“
Nach seiner Einschätzung treffen die bisherigen Lösungsansätze noch nicht ins Schwarze, was man allein schon daran ablesen könne, „dass einige groß angekündigte Plattformen kaum Akzeptanz finden“. Auf die Akzeptanz komme es an, wie Bernd Christoph Meisheit herausstellte. „Der einzelne Mensch muss etwas von der digitalen Vernetzungsplattform haben“, erklärte der Geschäftsführer der Sana IT Services GmbH und bezieht „alle“ ein: die Niedergelassenen, die Ärzteschaft der Kliniken, die Pflegekräfte, die Apotheker*innen, die Mitarbeiter*innen der Pflegeeinrichtungen und die Patient*innen sowie ihre Angehörigen. Eine solche Plattform stellt selbst eine große Klinikgruppe mit drei Milliarden Euro Umsatz nicht für den Eigenbedarf auf die Beine. „Ohne eine echte und anwenderfreundliche Plattform können wir als Sana Kliniken das nicht leisten“, so Meisheit.

Wie geht es weiter auf dem eHealth-Weg? Allein schon formale und andere grundsätzliche Hindernisse türmen sich vor den Anbietern von Gesundheitsplattformen störrisch auf. Wie viel Wettbewerb unter den beteiligten Dienstleistern ist gewünscht und tut der Sache gut? Wo sind Kooperationen besser als ein Gegeneinander? Und ganz entscheidend: Wo greifen Gesetzgeber und andere Instanzen regulatorisch ein? Die Autor*innen der Studie fordern eine Wettbewerbsordnung, die das Versorgungsziel festschreibt und sowohl organisatorische als auch technische Rahmenbedingungen bestimmt. Das schließt die Definition von Nahtstellen zwischen nationaler eHealth-Infrastruktur und privaten Plattformen mit ein.

„Das ist auch für die Politik ein dickes Brett“, konstatierte Moderator Thilo Mahr, Market Access Manager Digital Solutions bei Siemens Healthineers. Sebastian Zilch vom Bundesministerium für Gesundheit konnte das nur bestätigen, sieht Deutschland aber auf einem guten Weg. Der Unterabteilungsleiter gematik, Telematikinfrastruktur und eHealth möchte, „dass die Digitalisierung in der Versorgung selbstverständlich und auch angenehm selbstverständlich ist. Und das für Patientinnen und Patienten, für die Behandelnden und alle anderen Beteiligten.“ Damit sprach er wohl den meisten Teilnehmern und Teilnehmerinnen an der Veranstaltung aus der Seele.

Die Studie wurde im Auftrag von Siemens Healthineers durchgeführt. Das Medizintechnikunternehmen besitzt einschlägige Erfahrungen auf dem Gebiet der Plattformen. Es ist an der Umsetzung der Elektronischen Patientenakte in Österreich (ELGA) und in der Schweiz (EPD) maßgeblich beteiligt. Für den deutschen Markt bietet Siemens Healthineers die offene und interoperable teamplay digital health platform connect an.

Interessenten können die Kurz- und Langfassung der Studienergebnisse kostenlos downloaden.