Auf dem Weg in eine Welt ohne Angst vor Krebs

Auf dem Weg in eine Welt ohne Angst vor KrebsDank Screening und innovativer Therapien ist Brustkrebs heute bei acht von zehn Patientinnen dauerhaft heilbar. Ausruhen ist aber nicht angesagt. Es gibt noch viel Verbesserungsbedarf.

17.08.2023
Mit zuletzt über 70.000 Neuerkrankungen pro Jahr ist Brustkrebs, abgesehen vom weißen Hautkrebs, die in Deutschland mit Abstand häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Gleichzeitig wurden in der Behandlung von Brustkrebs – bei allem Leid, dass diese mit sich bringt – in den letzten Jahrzehnten beeindruckende Fortschritte erzielt: „Meine Lieblingszahl in der Kommunikation mit Patientinnen ist, dass die Rate an kompletten Heilungen derzeit bei 84 Prozent liegt. Das nimmt den Druck in vielen Fällen etwas raus“, sagt Prof. Dr. Diana Lüftner, Ärztliche Leiterin der Immanuel Klinik Märkische Schweiz. Diese vergleichsweise hohe Quote ist das Ergebnis vieler einzelner Fortschritte über Jahre hinweg an unterschiedlichen Stellen entlang der Versorgungskette.
Einen großen Anteil hat in Deutschland das Mammographie-Screening. Hier habe man lange Zeit, und zum Teil bis heute, gegen viele Mythen und auch gegen Screening-Hetze ankommunizieren müssen, so Ulla Ohlms, Vorsitzende der Initiative PATH, die eine Gewebebank für die Krebsforschung aufgebaut hat. Kommunikation tue auch weiter not: „Die Teilnahmequoten sind immer noch viel zu gering.“ Prof. Dr. Michael Golatta vom Brustzentrum Klinik St. Elisabeth Heidelberg sieht das ähnlich: „Wir haben ein gutes Screening, aber wir können es noch verbessern. Wer motivieren will, muss selbst davon überzeugt sein. Das war in der Vergangenheit nicht bei allen Ärztinnen und Ärzten der Fall.“
Neben besserer Kommunikation könnte eine Ausweitung des Alterskorridors für das Screening zu einer weiteren Erhöhung der Heilungsquote führen. Eine solche Erweiterung – nach oben wie auch nach unten – wird derzeit intensiv diskutiert. Auch stelle sich die Frage, inwieweit Screening-Modalitäten wie Ultraschall oder Tomosynthese ebenfalls für das Screening-Programm genutzt werden sollten, so Golatta. Diana Lüftner plädierte ergänzend für eine Modernisierung des Einladungswesens und für mehr Barrierefreiheit bei den Anschreiben: „Die wirken wie eine Aufforderung vom Finanzamt zur Steuernachzahlung.“
Eine stärkere, an Risikofaktoren wie familiärer Belastung orientierte Personalisierung des Screenings könnte die Erfolgsrate ebenfalls erhöhen, sagt Aline Hambüchen, Marketing Managerin Women’s Health bei Siemens Healthineers. Seitens der Gerätehersteller wird zudem kontinuierlich versucht, unangenehme Aspekte des Screenings zu reduzieren, um Patientinnen Angst vor der Untersuchung zu nehmen. Hambüchen nennt beispielhaft den Einsatz von Algorithmen, um bei der Mammographie zu starken Pressdruck auf die Brust und damit Schmerzen zu vermeiden. Eine der größten Herausforderungen sieht Hambüchen in zunehmender Personalknappheit, aber auch hier gebe es technische Antworten: „Die KI-gestützte Bildinterpretation kann im Hinblick auf Ressourcenengpässe ein Quantensprung sein. Wir können immer mehr Daten immer schneller interpretieren.“
Am Übergang zwischen Screening und möglicher Brustkrebs-Diagnose kommt es vor allem auf eine gute Kommunikation an, um den Betroffenen Ängste zu nehmen und sie zu ermutigen, existierende Angebote auch in Anspruch zu nehmen. Insgesamt sei die Beratung in den deutschen Brustzentren mittlerweile „sehr, sehr gut“, so Lüftner. Dies habe auch damit zu tun, dass jüngere Ärztinnen und Ärzte umfangreiche Kommunikationstrainings absolvierten. Trotzdem fehle selbst in Brustzentren oft die Zeit, bis ins allerletzte Detail zu gehen. Und es gebe eine relevante Dunkelziffer an Patientinnen, die außerhalb von Brustzentren versorgt würden.


Ein Problem sei, dass es in ländlicheren Regionen oft kein Brustzentrum vor der Haustür gebe, betont Christina Claußen, Director Patient Advocacy bei Pfizer: „Auch auf dem Land braucht es Ansprechpartner, und wenn ich zu Hause sitze, brauche ich Möglichkeiten für einen digitalen Austausch.“ Defizite sieht Claußen insbesondere bei der Einbindung von Angehörigen. Wie groß der ungedeckte Beratungsbedarf immer noch sei, zeige sich auch am Erfolg von Start-up-Unternehmen, die eine digitale psychoonkologische Erstberatung anbieten: „Wir haben noch großen Nachholbedarf.“

Klar ist: Es zahlt sich aus, die existierenden Vorsorge- und Versorgungsangebote beim Brustkrebs auch wirklich konsequent in Anspruch zu nehmen. Denn einen so guten Zugang zu den modernsten Therapien wie in Deutschland gibt es nur in wenigen anderen Ländern. Das liege auch an der klinischen Forschung, so Lüftner: „Wir haben mit unseren gynäkologischen und internistischen Studiengruppen Weltruhm.“


Aktuelle Neuerungen auf Seiten der Arzneimitteltherapie sind zum Beispiel Antikörper-Wirkstoff-Konjugate, mit denen sich Krebsmedikamente ganz gezielt dorthin steuern lassen, wo sie wirken sollen. Auf Seiten der Medizintechnik hat sich Siemens Healthineers kürzlich mit dem Strahlentherapie-Spezialisten Varian zusammengetan – eine Fusion, die auf die Integration von Bildgebung und Strahlentherapie zielt. Dies gilt als wichtiger Baustein künftiger, personalisierter Therapiekonzepte in unterschiedlichen Stadien von Krebserkrankungen, nicht nur Brustkrebs.

Noch keinen Weltruhm erreicht Deutschland derzeit bei der Digitalisierung der Versorgung. Das müsse sich dringend ändern, sind sich Ohlms, Lüftner, Claußen, Hambüchen und Golatta einig. Denn eine optimale, multidisziplinäre und langjährige Betreuung von Menschen mit komplexen Erkrankungen wie Brustkrebs entlang der gesamten Versorgungskette ist ohne digitale Unterstützung heute kaum denkbar. Hambüchen drückt es so aus: „Wir sollten weniger Angst vor Datenklau haben. Wir müssen Gesundheitsdaten mehr als Chance und weniger als Gefahr sehen.“