Seit 2010 existiert das Heidelberger Institut für Radioonkologie (HIRO), unter der Trägerschaft des Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). Gemeinsam mit dem OncoRay in Dresden bildet es das Nationale Zentrum f. Strahlenforschung in der Radiologie (NCRO).

Größere Treffsicherheit der Ionenstrahltherapie dank neuer Algorithmen

30.08.2018

Fotos: Tim Wegner


Seit 2010 existiert das Heidelberger Institut für Radioonkologie (HIRO), zu dessen Trägern das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) gehört. Gemeinsam mit dem OncoRay in Dresden bildet es das Nationale Zentrum für Strahlenforschung in der Radiologie (NCRO). Wissenschaftler beider Standorte arbeiten gemeinsam intensiv an der Weiterentwicklung der Ionenstrahltherapie auf Grundlage der Dual-Energy-CT (DECT). Die maßgeblich von Dr. Steffen Greilich und seinem Team entwickelten Algorithmen steigern dabei die Genauigkeit der Therapieplanung und erreichen ein neues Sicherheitsniveau.

Dr. Steffen Greilich, Leiter Research Group “Ion Beam Therapy E0408“, Abteilung Medizinische Physik in der Strahlentherapie, DKFZ
Dr. Steffen Greilich, Leiter Research Group “Ion Beam Therapy E0408“, Abteilung Medizinische Physik in der Strahlentherapie, DKFZ

Folgt man Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), erhalten ungefähr 60 Prozent aller Krebspatienten eine Strahlentherapie und rund 10 Prozent davon könnten von der Ionenstrahltherapie profitieren. Sie eignet sich besonders für bestimmte strahlenresistente Tumoren, für schwer erreichbare Krebsherde und für solche, die in unmittelbarer Nähe von Risikoorganen liegen. Denn energiereiche Partikel wie Protonen und Kohlenstoffionen belasten vor dem Zielvolumen liegendes Gewebe nur sehr gering und dahinter liegendes Gewebe bleibt weitestgehend strahlungsfrei. Die geballte Ladung ionisierender Strahlung trifft fast ausschließlich den Tumor. Greilich weiß aber nur zu gut, dass die Ionenstrahltherapie die physikalischen Eigenschaften nur dann in therapeutische Wirkung umsetzen kann, wenn die energiereichen Partikel genau definiert im Tumor landen. Er betont: „Wenn nicht bekannt ist, wo genau Protonen und schwere Ionen im Körper stoppen, kann das Ergebnis der Ionenstrahltherapie schlechter werden als mit konventioneller Photonentherapie.

Forschungsinstrument ist die Dual-Energy-CT (DECT). Mit diesem CT-Verfahren stehen für die Reichweitenberechnung der Ionenstrahlen Informationen zur Verfügung, die nicht nur wesentlich genauer, sondern auch personalisiert sind.
Forschungsinstrument ist die Dual-Energy-CT (DECT). Mit diesem CT-Verfahren stehen für die Reichweitenberechnung der Ionenstrahlen Informationen zur Verfügung, die nicht nur wesentlich genauer, sondern auch personalisiert sind.

Die bisherige Standardmethode für die Behandlungsplanung der Ionenstrahltherpie, die Single-Energy-CT (SECT), hat Nachteile, wie Greilich erklärt: „Mit der konventionellen Single-Energy-CT werden die eindeutigen Informationen der Elektronendichte überlagert mit denen der atomaren Zusammensetzung der Gewebe. Dadurch entsteht ein ambivalentes Bild.“ Forschungsinstrument der Arbeitsgruppe und der Kollegen am OncoRay ist die Dual-Energy-CT (DECT). Ziel war es, die DECT in die klinische Anwendung für die Ionenstrahltherapie zu bringen. Indem dieses CT-Verfahren jeweils zwei Aufnahmen mit unterschiedlicher Röntgenenergie liefert, stehen für die Reichweitenberechnung der Ionenstrahlen Informationen zur Verfügung, die nicht nur wesentlich genauer, sondern auch patientenspezifisch, sozusagen personalisiert sind. „In Gewebeexperimenten sind wir bei einer Unsicherheit der Ionenreichweite von 10 Mikrometern“, berichtet der begeisterte Wissenschaftler und ist sich sicher, dass die Vorteile, die sich damit für die Indikationen der Ionenstrahltherapie ergeben, in Langzeituntersuchungen bestätigt werden.

 

Seit Juli 2017 profitieren bereits Patienten in Dresden von der exakteren Ionenstrahltherapie mit den neuen DECT-Möglichkeiten.
Seit Juli 2017 profitieren bereits Patienten in Dresden von der exakteren Ionenstrahltherapie mit den neuen DECT-Möglichkeiten.

Die gemeinsamen Arbeiten der Wissenschaftler in Heidelberg und Dresden begannen 2014. Nachdem Greilichs Team die Algorithmen entwickelt hatte, konnte mit einem in Dresden entwickelten Kopfphantom die Annäherung an die Komplexität biologischer Gewebe und geometrischer Bedingungen, wie sie im Menschen vorliegen, erfolgreich getestet werden. Dass die Korrektur der bisherigen Unsicherheit mit dem Algorithmus auch tatsächlich im menschlichen Gewebe zuverlässig funktioniert, ließ sich ebenfalls nachweisen. „Die Tests der Algorithmen an biologischen Geweben, die Implementierung der Algorithmen, das hat sich zwischen uns und den Dresdner Kollegen hervorragend ergänzt“, resümiert Greilich zufrieden. Seit Juli 2017 profitieren bereits Patienten in Dresden von der exakteren Ionenstrahltherapie mit den neuen DECT-Möglichkeiten.

Als weiteren wichtigen Baustein der erfolgreichen Entwicklung sieht Greilich die Zusammenarbeit mit Siemens Healthineers. Zum einen ist das Dual-Energy-CT das einzig verfügbare, klinisch etablierte System, dessen Hard- und Software es nach den Erfahrungen Greilichs in dieser Qualität sonst nicht gibt. Zum anderen war es für den Wissenschaftler entscheidend, gemeinsam mit den Entwicklern bei Siemens zu verstehen, „dass in der Siemens-Software mehr steckt als nur die Elektronendichteberechnung“.

Das Feld für klinische Anwendungen auch außerhalb von Zentren wie Heidelberg oder Dresden ist bereitet. Wie Greilich erklärt, ist dafür eine klinisch zertifizierte Software Voraussetzung: „Mit der State-of-the-Art-Software kann der Algorithmus sehr gut arbeiten.“ Dass die DECT sich auch für die konventionelle Photonentherapie eignet, steht für den Heidelberger Wissenschaftler außer Frage.

Im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen dem HIRO und OncoRay stehen jetzt die klinischen Vorteile und die Reduktion der momentan noch bei der Bestrahlung üblichen Sicherheitssäume in Fokus.


Matthias Manych, Diplom-Biologe, ist freiberuflicher Wissenschaftsjournalist, Redakteur und Autor mit dem Schwerpunkt Medizin. Seine Arbeiten erscheinen hauptsächlich in Fachjournalen, aber auch in Zeitungen und online.