Krise als Einladung zur Veränderung: Welche Stärken und welche Schwachstellen hat COVID-19 im deutschen Gesundheitswesen aufgedeckt? Welche Lehren sollten Akteure im Gesundheitswesen daraus ziehen?
Das Krankenhauspersonal hat mit seinem ausserordentlichen Engagement massgeblich dazu beigetragen, dass das deutsche Gesundheitswesen die COVID19-Pandemie im internationalen Vergleich bis heute gut bewältigt hat. Doch auch Deutschland war auf eine Krise dieses Ausmasses nicht vollumfänglich vorbereitet (und konnte es nicht sein). Die Krise wird zum Lehrmeister in folgenden Bereichen:
Der föderale Aufbau des Gesundheitswesens ermöglichte einen zielgenauen Einsatz der begrenzt verfügbaren Ressourcen. Bei einer bundeseinheitlichen Steuerung der Versorgung wäre dies nicht so möglich gewesen.
Die flächendeckende, nicht auf die Ballungsräume beschränkte Vorhaltung von Krankenhauskapazitäten hat sich als Vorteil des deutschen Gesundheitswesens erwiesen. Die versorgungsstufenübergreifende, enge Zusammenarbeit der Krankenhäuser war der Garant für eine wohnortnahe Versorgung auf höchsten Qualitätsniveau. Die Krankenhäuser haben dabei sehr flexibel agiert.
Problematisch erschien anfangs, dass die Krankenhäuser gerade auch im ambulanten Behandlungsbereich Kapazitäten aufstocken mussten, da die ambulante vertragsärztliche Versorgung schnell an ihre Grenzen gestossen ist. Die Refinanzierung des Aufbaus zusätzlicher ambulanter und stationärer Kapazitäten durch die Krankenhäuser war vielerorts zunächst unzureichend geklärt, sodass die Krankenhäuser zum Teil gezwungen waren, auf Eigenmittel zurückzugreifen und damit in finanzielle Vorlage zu treten.
Äusserst schwierig gestaltete sich in den ersten Wochen der Krise insbesondere die Beschaffung der persönlichen Schutzausrüstungen für die Mitarbeitenden in den Krankenhäusern, Vertragsarztpraxen, Gesundheitsämtern und auch für die übrige Bevölkerung. Zur Vorbereitung auf zukünftige Pandemien müssen geeignete Versorgungs- und Beschaffungskonzepte entwickelt werden. Gleiches gilt für die bereits vor der Pandemie aufgetretene Problematik der Arzneimittellieferengpässe. Für die Zukunft sollten weitere Vorkehrungen für Pandemien getroffen werden. Es gilt, einen aktuellen, erregerunabhängigen Pandemieplan der Länder unter Beteiligung der Krankenhäuser zu erarbeiten sowie die finanzielle Sicherstellung pandemierelevanter Krankenhauskapazitäten als Notfallreserve festzulegen. Zudem sind ausreichende Kapazitäten zur Produktion von Arzneimitteln, Impfstoffen und Schutzausrüstungen durch Förderung der Produktion in der europäischen Union abzusichern. Auch die bilaterale, grenzüberschreitende Zusammenarbeit in den Grenzregionen sollte verbessert werden.
Ebenso muss der Ausbau und die Förderung ausreichender Laborkapazitäten in einem zukünftigen Pandemieplan berücksichtigt werden. Die Bundesländer sollten Landesreserven für Schutzausrüstungen errichten.
Die Krankenhäuser halten es für dringend geboten, die Erkenntnisse aus der Pandemie in die bereits bestehenden Strukturüberlegungen einfliessen zu lassen und jetzt die Weichen für die zukünftige Ausgestaltung der medizinischen Versorgung in Deutschland zu stellen.
Wir reisen 10 Jahre in die Zukunft – dominiert bei Ihnen Vorfreude oder Besorgnis mit Blick auf das Gesundheitssystem in Deutschland?
Wenn wir die richtigen Lehren aus den vergangenen Herausforderungen ziehen, dann überwiegt die Vorfreude auf die Entwicklung im Gesundheitswesen. Ich denke, dass die Patienten immer stärker (wie in allen anderen Bereichen des Lebens) zu Kunden (Leistungsempfängern) werden. Dies bedeutet, dass wir eine wesentlich stärker serviceorientierte Gesundheitsversorgung mit festgelegten Service-Leveln erwarten dürfen.
Dabei gilt es, auf die entsprechenden Gesundheitsleistungen auch Leistungsversprechen im Bereich der Ergebnisqualität zu geben. Über diese Thematik wird ein Grossteil des Wettbewerbes zukünftig laufen. Konzerne wie Apple, Google und Amazon werden aufgrund ihrer bisherigen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit noch stärker im Gesundheitswesen aktiv werden. Wir sollten unsere Stärken nutzen und darauf achten, dass die regional gewachsenen guten Strukturen nicht durch eine zu globale ökonomische Sichtweise verdrängt werden.
Transformation ist mehr denn je das Gebot der Stunde: Welche neuen Erkenntnisse haben Sie für sich persönlich aus der Ausnahmesituation der vergangenen Wochen mitgenommen?
Es hat sich gezeigt, dass auch grosse Organisationen in der Lage sind, sich schnell auf ungewohnte Rahmenbedingungen einzustellen. Eine gezielte professionelle Kommunikation ist hier der Schlüssel zum Erfolg, die Mitarbeiter müssen vor allem in der Krise gut informiert werden.
Zudem haben wir gesehen, dass sich unsere bisherigen gewohnten Rituale der Zusammenarbeit schnell durch zeitgerechte Kommunikationsmittel erweitern lassen – seien es Video-Konferenzen oder digitale Sprechstunden. Ich bin überzeugt: Durch die Nutzung digitaler Möglichkeiten können wir wesentlich bessere Ergebnisse erzielen, zum Wohle sowohl der Patienten als auch der Leistungserbringer.